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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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gewarnt, was nun kam, konnte sie nicht planen oder beherrschen. Und wenn er ihr eines Tages das Herz brach, vielleicht sogar schon morgen oder nächste Woche, weil er sich für ein anderes Leben entschied, dann war das eben so. Das war Teil des Risikos, wenn man sich verliebte.
    Sie legte ihre Hand um Pauls Kopf, zog ihn zu sich herunter und küsste ihn. Und er küsste sie. Beide spürten, nun gab es kein Halten mehr. Sie waren keine fünfzehn mehr, sondern erwachsene Menschen, die einander begehrten und keine Spielchen spielen wollten. Weil sie sich füreinander entschieden hatten. Und so schien es das Natürlichste der Welt, an diesem Ort miteinander zu schlafen. Alle Mattheit fiel von Sophie ab, und beim ersten Mal taten sie es so hungrig miteinander, so ausgezehrt und wild, als hätten sie eine lange, lange Durststrecke hinter sich. Beim zweiten Mal, etwas später, ließen sie sich Zeit, und tief vergraben in ihren Daunenschlafsäcken genossen sie es, den fremden Körper zu erkunden – für Momente so von Glück durchtränkt, dass es wehtat. Sophie und Paul schauten sich an und spürten, wie aufgewühlt der andere war. Wann habe ich zuletzt so etwas Heftiges gefühlt?, dachte Sophie. Als Kind vielleicht. Aber dann, ganz plötzlich, brannten sie wieder füreinander, wie beim ersten Mal. Sein Körper, seine Küsse und das Rauschen der Quelle jagten Sophies Puls hoch. Sie rollten aus dem Schlafsackberg hinaus, rollten über den kalten Steinboden und konnten nicht voneinander lassen, bis Sophie in dem halb dämmrigen Raum die Orientierung verlor. Offenbar ging draußen langsam die Sonne auf, denn das Ochsenauge war nun nicht mehr schwarz, sondern verhangen grau. Die schaurigen Konturen verloren sich, und die Kröten wirkten nicht mehr unheimlich, sondern zunehmend pittoresk. Nur die Steinkröte blieb so steinern und ungerührt wie eh und je. Sophies Hand hing nun am Rand des steinernen Beckens, mitten im Quellstrom der Kröte. Das eiskalte Wasser floss über ihre Hand, während Paul immer tiefer in sie drang – nein, sie hatten nichts zu verlieren. Alles war möglich mit ihm. Sie gaben sich beide hin, schutzlos.
    »Das ist wirklich ein wunderbarer Ort«, sagte Sophie, als sie dann, an die Kröte gelehnt, in seinen Armen lag.
    »Das ist jetzt auch unser Ort«, antwortete er. So empfand sie es auch. Dieser Ort war jetzt ein Teil von ihnen.
    Als ihnen schließlich kalt wurde, zogen sie sich etwas über und krochen zurück in ihr Bettenlager. Eine Weile plauderten sie noch und tranken Tee, dann schlief Sophie wieder ein. Sie lächelte im Schlaf.
    Der Gesang weckte sie Stunden später.
    »Halleluja«, erklang es. »Halleluja. Halleluja.«
    Sophie schoss hoch. »Was ist das?«
    Paul lachte. »Es ist Sonntag, da wird die heilige Messe gefeiert. Du bist wohl nicht katholisch.«
    »Protestantisch«, antwortete Sophie, die nun begriff, dass der Gottesdienst in einer der drei Kirchen abgehalten wurde. Sie sah Paul an. »Eine Warnung: Wenn mein Blutzucker unten ist, werde ich unausstehlich. Ich habe einen Riesenfrühstückshunger!«
    »Das nehme ich als Zeichen der Genesung. Komm, wir packen schnell zusammen und verschwinden. Wir waren jetzt lange genug hier drinnen, die da draußen machen sich bestimmt schon Sorgen. Aber erst …« Er küsste sie lange. »Guten Morgen«, murmelte er.
    »O nein«, Sophie rückte ab, »nein, nicht noch einmal. Nicht ohne Frühstück!«
    Er lachte. »War ja nur ein Versuch.«
    Sie zogen sich an, packten ihre Sachen zusammen, stopften die beiden Schlafsäcke und die Wolldecken in den Rucksack, der Rest kam in den Picknickkorb. Sophie wurde jetzt von Unruhe erfasst, sie wusste, sie sollten um diese Zeit nicht hier sein – sonntagmorgens, wenn die Kirchgänger unmittelbar in der Nähe sangen. Sie griff nach dem Picknickkorb und ging mit schnellen Schritten zur Tür, den Schlüssel schon in der Hand.
    »Wo willst du hin? Hier geht’s lang. Zeit zu klettern.« Mit dem Kletterseil schon in der Hand stand Paul unter dem Ochsenauge an der Steinwand. Woher kam das Seil? Sophie begriff, dass sie sich das Hämmern nicht eingebildet hatte – Paul hatte einen Felshaken in die Außenwand gehauen. »Draußen steht die Leiter. Wir müssen ohnehin das Seil abbauen und den Haken rausziehen.« Er trat ans Seil und begann ohne große Mühe, die Wand hochzuklettern. Dafür brauchte man nicht viel Technik.
    Gut, dachte Sophie. Wenn sie dort hinauskletterten, würde sie keiner sehen. Das barg weniger Gefahr als die
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