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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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vier Augen. In diesen Minuten wurde alles entschieden. Sie schaute zu Paul Grotemeyer hinüber. Er saß weiterhin ziemlich entspannt auf seinem Stuhl, die Beine gekreuzt, das iPad auf den Knien. Aber er twitterte nicht mehr, die Vortragszeit des Bergisch Gladbachers war abgelaufen. Sophie schaute auf die Uhr, es war fast eins. Zeit für die Mittagspause.
    »Wir machen jetzt eine Stunde Break, ich denke, Sie kommen alle gut zurecht. Der Coffee-Shop unten bietet ein kleines Mittagsmenü an.« Sofort setzte der Aufbruch ein, Stühle wurden nach hinten gerückt, Jacketts zurechtgezupft, die zwei anwesenden Frauen griffen nach ihren Handtaschen. Da man schon den zweiten Tag zusammen verbrachte, bildeten sich schnell Grüppchen. Wie flott doch die Kumpanei losging. Nur Steffen Heinlein blieb isoliert, niemand wollte sich mit dem Loser-Virus infizieren. Vom Gewinner war er zum Verlierer des Tages geworden. Er selbst ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken und dockte beim Gladbacher an. Eine richtige Entscheidung, dachte Sophie, er wird den Job sicherlich auch nicht kriegen.
    Sophie fing Paul Grotemeyer ab, der gerade mit den beiden Frauen an ihr vorbeigehen wollte. Die Volkswirtin aus dem Saarland war seine größte Konkurrentin, auch sie hatte einen ordentlichen Spontanvortrag gehalten und in allen Tests gut abgeschnitten. Eine Frau als Topmanager würde dem Kosmetikkonzern sicher gut gefallen, inzwischen bemühten sich Konzerne um Frauen in Führungspositionen. Ein Rock machte sich gut zwischen all den Anzügen. Trotzdem lag Paul Grotemeyer punktemäßig vorne.
    Außerdem sah er wirklich gut aus. Nicht so angestelltenhaft, ein kerniger Typ. Einer, der viel Zeit draußen verbrachte, dessen Bräune nicht von der Bräunungscreme kam und dessen Muskeln nicht im Fitnessstudio geformt wurden, sondern durch echten Sport. Paul Grotemeyer machte sie neugierig.
    »Hätten Sie Lust, mit mir essen zu gehen?«
    Paul Grotemeyer schaute sie erstaunt an. Irgendwie süß, aber war das nicht gespielt? War er also doch angespannt, jetzt, wo sie ihn zum Gabeltest aufforderte? »Klar«, sagte er grinsend. So locker. Vielleicht zu locker. Sophie spürte die Aura von Selbstzufriedenheit, die ihn umgab. Keine dumpfe Selbstzufriedenheit, die ständig von devoten Sekretärinnen, Flugbegleiterinnen, Chauffeuren und Assistenten bestätigt werden musste. Paul Grotemeyers Selbstzufriedenheit kam von innen, dies war ein Spiel, er war ein Spieler. Keine schlechte Voraussetzung für eine Führungskraft. Denn wer oben mithalten wollte, musste gewinnen und genauso verlieren können. Und das Verlieren musste man wegstecken können. Noch etwas fiel Sophie auf – seine Augen. Sie waren huskyblau. Und es war Leben in ihnen.
    Im Moment starrten seine Augen auf ihre Lippen.
    Sophie wusste, dass sie einen sinnlichen Mund hatte. Ginge es beim Modeln nur um den Mund, pflegte ihre Schwester immer zu sagen, wäre sie längst von einem Scout angesprochen worden. »Aber dafür fehlen dir ein paar Zentimeter.« Das war allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn Sophies Nase machte alle Modelpläne zunichte. Wer wollte schon ein Model mit gebrochener Nase? Warum ließ sie die nicht richten? In den USA wurden ihr regelmäßig die Visitenkarten von Schönheitschirurgen zugeschoben, die sich auf Stupsnasen spezialisiert hatten. »He’s great!«, hörte sie oft. Doch sie würde einen Teufel tun, denn sie fand so einen Nasenbruch ehrenvoll. Schließlich gab es eine Geschichte, wie es dazu gekommen war. Und war eine wahre Geschichte nicht besser als eine falsche Nase?
    Paul Grotemeyer löste den Blick von ihren Lippen, blieb kurz an besagter Nase hängen, stutzte und sah ihr endlich in die Augen. Nun gut, dachte sie amüsiert, andere Männer schauen ganz woandershin. »Die Einladung geht auf mich«, sagte Sophie schnell und schritt vorneweg. Sie gingen an den anderen Kandidaten vorbei, die ihnen jetzt links und rechts Platz machten. Der Neid stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Zum ersten Mal wurde allen bewusst, dass eine Entscheidung womöglich bald fiele – und die würde lauten: Grotemeyer hat den Job, ich habe ihn nicht. Die Saarländerin starrte ihnen wütend hinterher.
    »Wieder ein Kerl«, zischte sie böse zu ihrer Kollegin. »Wir Frauen halten einfach nicht zusammen.«
    Im Parterre des Hochhauses hatte vor einiger Zeit in einer ehemaligen Kantine ein italienisches Restaurant aufgemacht. Statt Schnitzel mit angetrocknetem Kartoffelsalat reichte man nun Pasta
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