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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen
Autoren: Susanne Leinemann
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weibliches Helfersyndrom vor. Doodle macht niemandem Angst, Doodle ist immer lustig, immer verständnisvoll.«
    Doodle, so wurde Sophie aufgrund ihrer Haare von den engsten Freunden und der Familie genannt. Ein Doodle war eine Kreuzung aus Golden Retriever und Pudel. Da ihre Locken blond waren, ein mattes Goldblond, drängte sich der Spitzname regelrecht auf. Zum Glück wusste in der Firma niemand davon.
    »Aber für das, was da unten gerade passiert ist, habe ich kein Verständnis!«
    Sie ging mit der Wassersprühflasche hinüber zu Eno, der japanischen Schirmtanne. Er war ihr erstes Bonsai-Date gewesen, daher hatte sie zu ihm eine besonders enge Bindung.
    »Ich weiß genau, was du jetzt sagen willst: Nimm es nicht so schwer. Der Heinlein hat es selbst herausgefordert. Überhaupt, niemand wird gezwungen, sich einem Assessment-Center auszusetzen. Die Kandidaten wollen halt den Hauptgewinn: Eintritt in die Welt des globalen Managements! Das ultimative Upgrade! Willkommen, First-Class-Lounges und Top-Hotels, noble Dienstautos mit Chauffeur und Boni-Zahlung am Ende des Jahres. So einen Karrierekick gibt es nicht umsonst, um in dieser Liga mitzuspielen, muss man sich anstrengen!«
    Sie entdeckte einen neuen Trieb bei Eno, der aber in die falsche Richtung wuchs. Mit der Bonsai-Schere trennte sie ihn ab.
    »Die meisten Kandidaten behandeln ihre Untergebenen im Alltag auch nicht besser, die fordern ständig Höchstleistungen und Überstunden, triezen, wo sie nur können. Das weiß ich, weil ich mich vorher meist in Foren informiere. Du glaubst nicht …«, sagte sie jetzt an Enrique gewandt, einem Strauch-Wacholder, der so würzig und temperamentvoll roch, dass er seinen Namen zu Recht trug, »… was ich schon alles über unsere Kandidaten erfahren habe. Es ist nicht schlecht, dass sie hier im Assessment-Center mal zwei Tage auf der anderen Seite stehen. Bewertet werden, statt selbst zu bewerten. Gefordert werden, statt zu fordern. Die haben doch völlig vergessen, was es heißt, selbst in den Kampf geschickt zu werden. Einfach mal wieder einen Vortrag halten, der nicht von einem Assistenten bis ins letzte Detail vorbereitet wurde. Aber was da unten gerade mit Heinlein passiert ist, das ging zu weit!«
    Plötzlich überkam sie wieder diese Müdigkeit. Sie musste sich auf das Mäuerchen setzen.
    »Manchmal«, sagte sie leise, »verliere ich die Lust am Job.«
    Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, die Locken fielen über ihre Handrücken, im Nacken spürte sie die warme Sonne.
    »Aber was bleibt mir außer der Arbeit?«
    Das therapeutische Gespräch mit den Bonsais läuft ja super, dachte Sophie sarkastisch. Die Wut war verraucht und hatte einer großen Trauer Platz gemacht. Sophie spürte langsam, wie sie in eine Region ihres Lebens vordrang, wo es wirklich schmerzhaft wurde.
    Verdammt, warum musste sie mit Bäumen reden? Wo waren ihre Freunde? Ihr Verlobter?
    Die Wahrheit war, die arbeiteten alle genauso viel wie sie selbst. Keine Chance, jetzt irgendwen ans Telefon zu kriegen.
    Johann beispielsweise. Um diese Zeit saß er in einem seiner zahllosen Meetings. Er schien mit neuen Aufträgen regelrecht überhäuft zu werden. Genauso wie sie mehr Kandidaten denn je begutachtete. Sie zog die Arbeit regelrecht an sich. Womöglich, musste Sophie zum ersten Mal einräumen, gingen Johann und sie sich schon eine Weile aus dem Weg. Siebzehn Monate waren sie jetzt verlobt, aber ein Hochzeitstermin stand immer noch nicht fest. Es war wie verhext, irgendetwas sprach immer dagegen. Oft genug brachte sie selbst einen Einwand vor. »Nein, in diesem Frühjahr geht es nicht, wir haben eine große Einstellungswelle bei Konzernen.« Oder: »Heiraten? Im November? Das ist doch scheußlich.« Komischerweise machte sie sich nie Sorgen um Johanns Liebe zu ihr. Wie hatte ihre Freundin Nina einmal so treffend gesagt: »Johann ist wie ein Durchlauferhitzer. Nicht wahnsinnig aufregend, aber zuverlässig und überlebenswichtig.«
    »Aber ein schicker Durchlauferhitzer – so einer mit vierfarbigem Display und perfekter Temperaturregulierung«, hatte Sophie eingewandt.
    Nina hatte zugestimmt. »Das beste Modell auf dem Markt.«
    War ihr womöglich ein Durchlauferhitzer-Mann doch zu wenig?
    Wie gern würde sie jetzt mit Nina reden. Die Freundin würde mit einem lockeren Spruch alle Bedenken wegfegen. Aber seit einiger Zeit arbeitete auch sie wieder als Ärztin in einer Klinik, und um diese Zeit war Visite. Keine Chance, sie ans Telefon zu kriegen.
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