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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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Kinderfüßen ausgetreten war, und hastete dann über den Treppenabsatz unter dem runden Fenster. Das einfallende Licht war durch das aufziehende Gewitter rot und eklig. Tubby ging unter den leeren Regalen der ehemaligen Stadtbibliothek hier auf dem Absatz und der Galerie entlang, die das gesamte Zwischengeschoß umgab, aber er sah sie eigentlich nicht. Die Regale waren leer, seit Tubby hier zur Schule ging.
    Er hatte es eilig. Der Unterricht dauerte keine halbe Stunde mehr, und er wollte nach unten zur Knabentoilette, bevor der Tag zu Ende war und sie diese verfluchte alte Hütte für immer schlossen.
    Im Erdgeschoß fiel mehr Licht herein, und durch die summende Aktivität der Klassen eins bis drei wirkte der Raum hier menschlicher, obwohl sich das dunkle Treppenhaus zur Dunkelheit der oberen Stockwerke hin auftat. Tubby eilte quer durch die offene Halle, bevor einer der Lehrer in sehen konnte, ging durch eine Tür und lief die Treppe in den Keller hinunter.
    Es war unheimlich, daß die dumme Schule keine Toiletten im Erdgeschoß oder dem ersten Stock hatte. Nur im Keller gab es Klos, aber dafür zu viele ... Die vorderen und dazwischenliegenden Waschräume, das abgeschlossene Klo neben dem in die Wand versetzten Zimmer mit der Aufschrift LEHRERZIMMER, die kleine Toilette neben dem Heizraum, wo Van Syke pinkeln ging, wenn er mußte, und darüber hinaus eine Menge weitere Räumlichkeiten in den unbenutzten Fluren in die Dunkelheit, bei denen es sich um Toiletten handeln konnte.
    Tubby wußte, wie viele Kinder, daß es noch Treppen gab, die vom Keller aus abwärts führten, aber Tubby war, wie die anderen Kinder, noch nie da unten gewesen und hatte es auch nicht vor. Herrgott, da unten gab es nicht einmal Licht! Niemand außer Van Syke und möglicherweise Rektor Roon wußten, was da unten lag. Wahrscheinlich noch mehr Klos, dachte Tubby.
    Er betrat den dazwischenliegenden Jungenwaschraum mit der Aufschrift BOY'S. Das Schild war schon seit Menschengedenken so -Tubbys alter Herr hatte ihm gesagt, es wäre schon so gewesen, als er noch in Old Central zur Schule gegangen war -, und Tubby wie auch sein alter Herr wußten nur, daß der Wieheißterdochgleich, der Apostroph an der falschen Stelle war, weil die alte Lady Dug-gan von der sechsten Klasse dauernd herumnörgelte und sich beschwerte, daß er falsch war. Sie hatte deswegen schon ein Gezeter veranstaltet, als Tubbys alter Herr noch ein Kind gewesen war. Nun, jetzt war die alte Lady Duggan tot - sie war tot und verfaulte auf dem Friedhof Calvary hinter der Black Tree Tavern, wo Tubbys alter Herr fast den ganzen Tag herumhing -, und Tubby fragte sich, warum die alte Dame das Wort nicht geändert hatte, wenn es ihr soviel Kopfzerbrechen bereitete. Sie hatte an die hundert Jahre Zeit gehabt, hier runterzukommen und das Schild neu zu schreiben. Tubby vermutete, daß sie gern ein Gezeter und Aufhebens darum vollführte ... weil sie sich dann klug und andere Menschen, wie Tubby und sein Vater, dumm vorkamen.
    Tubby eilte durch den dunklen Flur zu eben dem Waschraum mit der Aufschrift BOY'S. Hier waren die Backsteinwände vor Jahrzehnten grün und braun gestrichen worden, an der niederen Decke verliefen Rohre und die Sprinkleranlage, und man hatte den Eindruck, als würde man durch einen langen, schmalen Tunnel in einer Gruft oder so etwas gehen.
    Wie in dem Film über die Mumie, den Tubby im vergangenen Sommer gesehen hatte, als der Freund seiner älteren Schwester ihn und Cordie ins Autokino von Peoria geschmuggelt hatte, indem er sie im Kofferraum versteckte. Es war ein guter Film gewesen, aber Tubby hätte ihn mehr genossen, wenn er nicht ständig das Schmatzen, Schlabbern und Stöhnen auf dem Rücksitz hätte anhören müssen, wo seine ältere Schwester Maureen es mit einem pickligen Jungen namens Berk getrieben hatte.
    Jetzt war Maureen schwanger und lebte mit Berk hinter der Müllhalde ganz in der Nähe von Tubbys Wohnort, aber er glaubte nicht, daß sie und dieser Depp Berk verheiratet waren.
    Cordie war die beiden ganzen Filme über verkehrt herum auf dem Vordersitz gekauert und hatte lieber die geile Maureen und Berk dabei beobachtet, statt sich die tollen Filme anzusehen.
    Jetzt hielt Tubby vor dem Eingang zum Waschraum mit der Aufschrift BOY'S inne und lauschte, ob er noch jemanden hier unten hören konnte. Manchmal lauerte der alte Van Syke hier unten Kindern auf, und wenn sie Unfug anstellten, wie es Tubby vorhatte - manchmal auch, wenn sie gar nichts machten
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