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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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Jeff, die humorlosen Abbott und Costello von Old Central gewesen - Mrs. Duggan dünn und groß und hektisch, Mrs. Doubbet klein und dick und langsam, ihre Stimmen fast gegensätzlich, was Timbre und Tonlage anging, ihre Leben miteinander verflochten -, sie lebten in nebeneinandergelegenen viktorianischen Häusern an der Broad Avenue, besuchten dieselbe Kirche, nahmen gemeinsam an Kursen in Peoria teil, verbrachten ihre Ferien gemeinsam in Florida, zwei unvollständige Persönlichkeiten, die ihre Fähigkeiten und Schwächen irgendwie vereinten und so ein ausgewogenes Individuum schufen.
    In diesem letzten Jahr der Vorherrschaft von Old Central war Mrs. Duggan kurz vor dem Erntedankfest krank geworden. Krebs, hatte Mrs. O'Rourke, Dales Mutter, mit Flüsterstimme verraten, als sie glaubte, die beiden Jungs würden nicht zuhören. Mrs. Duggan war nach den Weihnachtsferien nicht mehr zum Unterricht erschienen, aber anstatt eine Vertretung die Nachmittagsstunden übernehmen zu lassen und dadurch einzugestehen, wie ernst die Krankheit von Mrs. Duggan war, hatte Mrs. Doubbet die Fächer übernommen, die sie verabscheute, >nur bis Cora zurückkommt<, und derweil ihre Freundin gepflegt - zuerst in dem großen rosa Haus in der Broad, dann im Krankenhaus -, bis eines Morgens nicht einmal Old Double-Butt erschienen war, zum ersten Male seit vier Jahrzehnten eine Aushilfe die sechste Klasse übernahm und man auf dem Spielplatz flüsterte, daß Mrs. Duggan gestorben sei. Das war am Tag vor dem Valentinstag gewesen.
    Die Beerdigung fand in Davenport statt, und keiner der Schüler nahm daran teil. Auch wenn sie hier in Elm Haven gewesen wäre, hätte kein Schüler daran teilgenommen. Mrs. Doubbet kam zwei Tage später zurück.
    Dale sah die alte Dame an und spürte eine Art mitleidiger Regung. Mrs. Doubbet war immer noch dick, aber jetzt hing das Gewicht an ihr wie ein zu groß geratener Mantel.
    Wenn sie sich bewegte, wabbelten und schlotterten die Unterseiten ihrer dicken Arme wie Kreppapier, das am Knochen hing. Ihre Augen waren dunkler geworden und lagen so tief in den Höhlen, daß sie wie Blutergüsse wirkten.
    Momentan saß die Lehrerin da und sah zum Fenster; ihr Gesichtsausdruck war so leer und hoffnungslos wie der von Cor-die Cooke. Das blaugetönte Haar wirkte zerzaust und gelblich an den Wurzeln, und das Kleid saß seltsam schief, als hätte sie es irgendwo falsch zugeknöpft. Sie hatte einen üblen Geruch um sich, der Dale an den Geruch von Mrs. Duggan kurz vor Weihnachten erinnerte.
    Dale seufzte und verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl. 14.52 Uhr.
    Der Hauch einer Bewegung war auf dem Flur zu sehen, ein verstohlenes Huschen und blasses Leuchten, und Dale erkannte Tubby Coo-ke, Cordies fetten und verblödeten Bruder, der über den Flur ging. Tubby sah herein und versuchte, die Aufmerksamkeit seiner Schwester auf sich zu lenken, ohne von Old Double-Butt bemerkt zu werden. Es war vergebens. Cordie war vom Himmel draußen hypnotisiert und hätte ihren Bruder nicht bemerkt, wenn er einen Backstein nach ihr geworfen hätte.
    Dale nickte Tubby knapp zu. Der große Viertkläßler in der Latzhose zeigte ihm den Vogel, hielt etwas hoch, das ein Passierschein für die Toilette sein konnte, und verschwand in den Schatten.
    Dale verlagerte das Gewicht. Tubby spielte gelegentlich mit ihm und seinen Freunden, obwohl die Cookes in einer Hütte aus Dachpappe auf Schlackeblocks draußen bei den Bahngleisen in der Nähe des Getreidesilos wohnten. Tubby war dick und häßlich und dumm und schmutzig und kannte mehr schlimme Wörter als jeder andere Viertkläßler, den Dale bisher kennengelernt hatte, aber das war letztendlich kein Hindernis, Mitglied der Gruppe von Stadtkindern zu sein, die sich selbst die >Fahrradpatrouille< nannten. Aber normalerweise wollte Tubby nichts mit Dale und seinen Freunden zu tun haben.
    Dale fragte sich kurz, was der Depp im Schilde führen konnte, dann sah er wieder auf die Uhr. Es war immer noch 14.52 Uhr.
    Insekten in Bernstein.
    Tubby Cooke gab auf, seiner Schwester zu winken, und ging zur Treppe, ehe Old Double-Butt oder eine andere Lehrerin ihn auf dem Flur bemerkten. Tubby hatte zwar einen Passierschein für die Toilette von Mrs. Groissant, aber das bedeutete nicht, daß eine der alten Schachteln ihn nicht in sein Klassenzimmer zurückschicken würde, wenn sie ihn beim Herumlungern auf dem Flur erwischten.
    Tubby schlurfte die breite Treppe hinunter und sah, wo das Holz von Generationen von
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