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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht
Autoren: Dan Simmons
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steckte den linken Arm und die Schulter in die Öffnung, ließ den Kopf aber noch draußen, und ein breites Grinsen bildete sich in seinem Gesicht. Er zog das linke Bein in die Lücke zwischen der Trennwand und der alten Mauer dahinter. Das war ein verdammter Geheimgang hier!
    Tubby duckte sich und trat ganz in das Loch, zog das rechte Bein nach, bis nur noch Kopf und ein Teil seiner Schulter herausragten. Er duckte sich noch tiefer und grunzte leise, als er sich in die kühle Dunkelheit zurückzog.
    Würden Cordie oder mein alter Herr nicht Scheiße schreien, wenn sie jetzt reinkommen und mich sehen würden? Natürlich würde Cordie niemals eine Toilette für BOY'S betreten. Oder doch? Tubby wußte, daß seine ältere Schwester ziemlich daneben war. Vor zwei Jahren, als sie selbst noch in der vierten Klasse gewesen war, hatte Cordie den Baseballspieler, Hitzeblitz und Star der Jugendliga Chuck Sperling, von Kopf bis Fuß ein Arschloch, bis zum Spoon River verfolgt, als er allein angeln gegangen war, hatte ihn den halben Vormittag beobachtet und schließlich überfallen, niedergeschlagen, sich auf seinen Bauch gesetzt und gedroht, sie würde ihm den Kopf mit einem Stein einschlagen, wenn er ihr nicht seinen Pimmel zeigte.
    Laut Cordie hatte er ihn weinend und Blut spuckend herausgeholt und ihr gezeigt. Tubby war ziemlich sicher, daß sie das außer ihm niemandem erzählt hatte, und er war ganz sicher, daß Sperling es niemandem erzählen würde.
    Tubby lehnte sich in seiner kleinen Höhle zurück, spürte den Mörtelstaub in seinem Bürstenschnitt und grinste in die spärlich erhellte Toilette. Er würde hinausspringen und dem nächsten jungen, der pinkeln kam, eine Heidenangst einjagen.
    Tubby wartete zwei oder drei Minuten lang, aber es kam niemand. Einmal war ein Schlurfen oder Rasseln im Hauptkorridor des Kellers zu hören, aber dem folgten keine Turnschuhe, die sich näherten, und niemand machte die Tür auf. Die einzigen anderen Geräusche waren das ständige Rinnen des Wassers in den Pissoirs und ein leises Blubbern in den Röhren an der Decke, als würde die verfluchte Schule mit sich selbst reden.
    Hier ist es wie in einem Geheimgang, dachte Tubby wieder, drehte den Kopf nach links und sah die schmale Passage zwischen den beiden Wänden hinab. Es war dunkel und roch wie der Boden unter der Veranda seines Hauses, wo er sich vor seiner Ma und seinem alten Herrn versteckt und gespielt hatte, als er noch kleiner war. Derselbe erdige, durchdringende Fäulnisgeruch.
    Als ihm allmählich ein wenig verkrampft und unheimlich in der engen Zelle zumute wurde, sah Tubby ein Licht am anderen Ende der Passage. Es war ungefähr dort, wo sich das Ende der Toilette und die Außenmauern befinden mochten ... vielleicht ein Stückchen weiter. Und es war eigentlich gar kein Licht, dachte er sich, sondern so eine Art Leuchten. So ähnlich wie das weiche, grüne Licht, das Tubby schon nachts im Wald bei Schimmel und verfaulenden Pilzen gesehen hatte, wenn er und sein alter Herr auf der Jagd gewesen waren.
    Tubby spürte, wie sein Hals kalt wurde. Er wollte aus dem Loch kriechen, aber dann wurde ihm klar, was das Leuchten bedeuten mußte, und grinste. Die Mädchentoilette (GIRLS' - das hatte der Schildermaler richtig gemacht) nebenan mußte eine Öffnung haben. Tubby stellte sich vor, wie er durch den Riß oder das Loch oder was auch immer, durch den das Leuchten drang, ins Mädchenklo späht.
    Mit etwas Glück konnte er ein Mädchen pinkeln sehen. Vielleicht sogar Michelle Staffney oder Darlene Hansen oder eine der anderen hochnäsigen Sechstkläßlertussies mit zu den Knöcheln runtergezogenen Schlüpfern und entblößten Schamteilen.
    Tubby spürte sein Herz klopfen, spürte die Regungen des Blutes in einem anderen Körperteil und schlurfte seitwärts, weg von dem Loch und tiefer in die Passage. Es war sehr eng.
    Tubby blinzelte Spinnweben und Staub aus den Augen, roch das Unter-der-Veranda-Aroma von Erde ringsum und zwängte sich dem Leuchten entgegen, weg vom Licht.
    Dale und die anderen hatten sich in einer Reihe aufgestellt und waren bereit, ihre Zeugnisse in Empfang zu nehmen und verabschiedet zu werden, als das Kreischen anfing. Zuerst war es so laut, daß Da-le es für ein seltsames, schrilles Donnern des Gewitters hielt, das immer noch den Himmel vor dem Fenster verfinsterte. Aber es war zu hoch, zu schrill und dauerte zu lange, als daß es zu dem Unwetter gehören konnte, obwohl es sich nicht menschlich
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