Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
hinunter; Dale war aufgefal len, daß in Fernsehserien und Filmen über Schulen die Schüler immer wie verrückt losstürmten, wenn sie entlassen wurden oder die Pausenglocke ertönte, aber in OldCentral hatte er die Erfahrung gemacht, daß alle überallhin in Reihen gingen, und diese letzten Sekunden der letzten Minute des letzten Schultags bildeten da keine Ausnahme.
    Die Reihe schlurfte an Mrs. Doubbet vorbei, und Dale nahm sein Zeugnis in dem braunen Umschlag und nahm einen säuerlichen Geruch von Schweiß und Talkum um seine Lehrerin wahr, als er an ihr vorbei in die andere Reihe ging. Schließlich hatte auch Pauline Zauer ihr Zeugnis bekommen, die Reihen an der Tür wurden gebildet - zum Hinausgehen stellten sie sich nicht alphabetisch auf, sondern Jungen und Mädchen getrennt, die auf den Bus mußten zuerst, dann die Kinder aus der Stadt - und Mrs. Doubbet stellte sich vor sie, verschränkte die Arme, als wollte sie eine abschließende Bemerkung oder einen Kommentar von sich geben, bedeutete ihnen dann aber nur mit einer stummen Geste, sie möchten Mrs. Shrives fünfter Klasse folgen, die gerade die Treppe hinunterging.
    Joe Allen machte den Anfang.
    Draußen atmete Dale die schwüle Luft ein und tanzte beinahe im Licht und der plötzlichen Freiheit. Die Schule ragte wie eine gigantische Mauer hinter ihm auf, aber auf den Schotterwegen und Rasenflächen des Schulhofs tummelten sich aufgeregt Kinder, holten Fahrräder von den Radständern, liefen zu den Schulbussen, wo die Fahrer sie zur Eile mahnten, und drückten ihre Freude ganz allgemein durch Lärm und Gesten aus.
    Dale winkte Daune McBride zum Abschied, der in einen Schulbus gedrängt wurde, dann sah er eine Gruppe Drittkläßler, die sich wie Wachteln um den Fahrradständer scharten.
    Dales Bruder Lawrence galoppierte den Weg entlang, ließ sein Ü-berbißgrinsen unter der dicken Brille sehen und hielt den leeren Leinenschulranzen fest, als er sich von seinen Drittkläßlerkum-peln verabschiedete und zu Dale gestürmt kam.
    »Frei!« rief Dale und wirbelte Lawrence in der Luft herum.
    Mike O'Rourke und Kevin Grumbacher und Jim Harlen kamen auch herüber. »Herrje«, sagte Kevin, »habt ihr den Lärm gehört, als Mrs. Shrives uns Aufstellung nehmen ließ?«
    »Was war das, was meint ihr?« fragte Lawrence, als die Gruppe sich über den Rasen des Baseballfeldes in Bewegung setzte.
    Mike grinste. »Ich glaube, es war Old Central, die einen Drittkläßler verspeist hat.« Er strich mit den Knöcheln über Lawrence Bürstenschnitt.
    Lawrence lachte und duckte sich weg.
    »Nee, echt?«
    Jim Harlen bückte sich und reckte der alten Schule seinen Hintern zu.
    »Ich glaube, es war Old Double-Butt, die einen Furz gelassen hat«, sagte er und lieferte den entsprechenden Geräuscheffekt dazu.
    »He«, rief Dale, zielte einen Tritt in Richtung von Jim Harlens Allerwertesten und nickte zu seinem kleinen Bruder. »Paß auf, was du sagst, Harlen.«
    Aber Lawrence lachte schon und wälzte sich im Gras.
    Die Schulbusse fuhren in verschiedene Straßen davon. Der Schulhof leerte sich zusehends, Schüler hasteten unter den hohen Ulmen davon, als wollten sie vor dem drohenden Unwetter fliehen.
    Dale blieb am Rand des Baseballfelds auf der anderen Straßenseite gegenüber seinem Haus stehen und betrachtete die Wolken, die sich über Old Central auftürmten. Es war schwül und die Luft so still wie vor Sturmwarnungen, aber er bemerkte beim bloßen Hinsehen, daß die Sturmfront schon fast vorbeigezogen war. Im Süden war über den Bäumen ein Streifen blauen Himmels zu sehen. Noch während die jungen hinsahen, kam Wind auf, brachte die Blätter der Bäume rings um den Block zum Rauschen, und der Sommergeruch von frisch gemähtem Gras und Blüten und Vegetation erfüllt die Luft.
    »Seht«, sagte Dale.
    »Ist das nicht Cordie Cooke?« fragte Mike.
    »Ja.« Die plumpe Gestalt stand allein vor dem Nordeingang zur Schule, hatte die Arme verschränkt und tippte mit dem Fuß auf und ab. In dem zu großen Hauskleid, das fast auf dem Kies streifte, sah sie altbackener und dümmer denn je aus. Zwei der kleinsten Jungs der Cookes, die Zwillinge, die in der ersten Klasse waren, standen in schlotternden Latzhosen hinter ihr. Die Cookes wohnten so weit außerhalb der Stadt, daß sie ein Anrecht auf Transport mit dem Schulbus gehabt hätten, aber kein Bus fuhr Richtung Getreidesilo und Müllhalde, daher gingen sie und ihre drei Brüder zu Fuß auf den Eisenbahnschienen. Jetzt schrie sie etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher