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Sommer am Meer

Sommer am Meer

Titel: Sommer am Meer
Autoren: Rosamunde Pilcher
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eine weitere Tür, und sie war wieder da, wo sie angefangen hatte, in dem dunklen, bedrückenden Wohnzimmer.
    Es war ein außergewöhnliches, ein schreckliches Haus. Es umschloß sie, wartete, daß sie zu einem Entschluß käme, verachtete ihre Furchtsamkeit. Um sich Zeit zu lassen, ging sie wieder in das Turmzimmer hinauf, setzte sich auf den Fenstersitz und kramte in ihrer Handtasche nach einer Zigarette. Ihre letzte. Sie würde welche kaufen müssen. Sie zündete sie an und betrachtete den gescheuerten Tisch, die verblaßten Farben des Teppichs und wußte, dies war Aubrey Cranes Arbeitszimmer gewesen, wo er sich die lüsternen Liebesgeschichten abgerungen hatte, deren Lektüre Virginia nie erlaubt worden war. Sie sah ihn, bärtig und mit Knickerbockern, und seine konventionelle Erscheinung strafte die Passionen seines rebellischen Herzens Lügen. Im Sommer hatte er vielleicht diese Fenster weit aufgerissen, um all die Gerüche und Geräusche des Landes einzufangen, das Tosen der See, das Pfeifen des Windes. Aber im Winter konnte es bitterkalt sein, und er mußte in Decken gehüllt und mit schmerzenden, frostbeuligen Fingern in gestrickten Wollhandschuhen geschrieben haben...
    Irgendwo im Zimmer brummte eine Fliege und stieß gegen die Fensterscheibe. Virginia lehnte die Stirn an das kühle Glas, starrte blicklos auf die Aussicht und begann eine der endlosen Für-und-wider-Diskussionen, die sie seit Jahren mit sich selbst führte.
    Ich kann nicht hierherziehen.
    Warum nicht?
    Ich hasse es. Es ist gespenstisch und beängstigend. Es hat eine schauerliche Atmosphäre.
    Das bildest du dir nur ein.
    Das Haus ist unmöglich. Ausgeschlossen, die Kinder hierherzuholen. Sie haben noch nie in so einem Haus gewohnt. Außerdem können sie nirgendwo spielen.
    Sie haben die ganze Welt zum Spielen. Die Felder, die Klippen und das Meer.
    Aber sich um sie zu kümmern... das Waschen und Bügeln, und die Kocherei. Und es gibt keinen Kühlschrank, und wie mache ich Wasser heiß?
    Ich dachte, es käme nur darauf an, die Kinder bei dir zu haben, fort von London.
    Sie sind in London bei Nanny besser aufgehoben als in einem solchen Haus.
    So hast du gestern aber nicht gedacht.
    Ich kann sie nicht hierherholen. Ich wüßte nicht, wo anfangen. Ganz auf mich allein gestellt.
    Was wirst du also tun?
    Ich weiß nicht. Mit Alice reden, vielleicht hätte ich vorher mit ihr reden sollen. Sie hat selbst keine Kinder, aber sie wird es verstehen. Vielleicht weiß sie ein anderes kleines Haus. Sie wird es verstehen. Sie wird mir helfen. Sie muß mir helfen.
    War wohl nichts, sagte ihre eigene kühle, strenge Stimme, mit all den entschiedenen Entschlüssen.
    Wütend drückte Virginia die halbgerauchte Zigarette aus, zertrat sie mit dem Absatz, stand auf, ging hinunter, nahm die Schlüssel und schloß die Tür hinter sich ab. Sie ging den Weg zurück durchs Tor, machte es zu. Das Haus beobachtete sie, die kleinen Schlafzimmerfenster waren wie spöttische Augen. Sie riß sich von ihrem Blick los und begab sich in den Schutz ihres Wagens. Es war Viertel nach zwölf. Sie brauchte Zigaretten und wurde in Haus Wheal nicht zum Mittagessen erwartet, deshalb schlug sie, als sie gewendet hatte und wieder auf der Hauptstraße war, nicht die Richtung nach Porthkerris ein, sondern fuhr in der anderen Richtung das kurze Stück nach Lanyon und hielt schließlich auf dem mit Kopfsteinen gepflasterten Platz, der auf einer Seite von der Kirche mit dem eckigen Turm und auf der anderen von einem kleinen weißgetünchten Pub namens The Mermaid's Arms flankiert war.
    Wegen des schönen Wetters waren vor dem Pub Tische und Stühle aufgestellt, mit bunten Sonnenschirmen und Kübeln mit orangengelber Kapuzinerkresse. Ein Mann und eine Frau in Urlaubskleidung saßen dort und tranken Bier, ihr kleiner Junge spielte mit einem Hündchen. Als Virginia näher kam, blickten sie auf, um mit einem Lächeln zu grüßen, und Virginia lächelte zurück und ging an ihnen vorbei durch die Tür, wobei sie unter dem geschwärzten Sturz instinktiv den Kopf einzog.
    Der Innenraum war dunkel getäfelt, niedrig, trübe erhellt von winzigen, mit Spitzengardinen verschleierten Fenstern; es roch kühl und moderig, aber nicht unangenehm. Ein paar Gestalten, in der Düsternis kaum zu erkennen, saßen an der Wand oder an kleinen wackligen Tischen, und hinter der Bar rieb der Barmann, eingerahmt von hängenden Bierkrügen, in Hemdsärmeln und einem karierten ärmellosen Pullover, mit einem Geschirrtuch
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