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Solomord

Solomord

Titel: Solomord
Autoren: Sandra Duenschede
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war seine Schuld, dass Yvonne von dem Auto erfasst worden war und starb. Daran hatte es nun einmal nichts zu rütteln gegeben. Und auch wenn niemand davon gewusst hatte, wenn seine Eltern es auch nicht erfahren hatten, er hatte damit leben müssen, tagein, tagaus. Bis ihm die Idee mit der Wiedergutmachung gekommen war. Richtig besessen war er von der Vorstellung gewesen, Yvonne quasi wieder zum Leben zu erwecken. Als seine Mutter noch lebte, hatte er sich jedoch nicht getraut, seinen Plan in die Tat umzusetzen, und selbst nachdem sie friedlich eingeschlafen war, hatte er Angst gehabt, ihr Ableben könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen, seine Pläne abermals verzögern. Deshalb hatte er ihren Tod auch geheim gehalten – ein Fehler, wie sich nun herausgestellt hatte, denn letztendlich war ihm die Polizei nur durch den Fund ihrer Leiche auf die Spur gekommen.
    Die Mädchen, die er sehr sorgfältig ausgewählt hatte, ähnelten seiner Schwester. Schließlich hatte alles perfekt sein sollen.
    Bei Michelle war er in seiner Vorgehensweise trotz exakter Pläne noch etwas unsicher vorgegangen. Die ›Panne‹, wie er ihren Tod bezeichnet hatte, war nicht geplant gewesen. Er hatte das Mädchen nur beruhigen wollen. Die Überdosierung des Medikaments, das seine Mutter aufgrund ihrer Epilepsie eingenommen hatte, war ein Versehen gewesen. Er hatte keine Ahnung davon gehabt, wie man das einst auch als Schlaf- und Betäubungsmittel angewandte Medikament für ein Kind dosierte. Ihr Tod war keine Absicht gewesen.
    Als er den leblosen Körper in den Armen gehalten hatte, waren die Erinnerungen an den Unfall plötzlich wieder real gewesen. Er hatte Panik bekommen, das tote Kind in den Kofferraum seines Wagens gelegt und war ziellos durch die Gegend gefahren, bis er schließlich vor dem Bauzaun ganz in der Nähe des Media-Marktes gestoppt hatte. Über die Baustelle war es ein Leichtes gewesen, auf das Gelände des Sportvereins zu kommen. Von hier aus hatte er unbeobachtet und im Schutze der Dunkelheit die Leiche zum Nebeneingang an der Altenbergstraße bringen und dort sanft in den kleinen Fluss, der friedlich vor sich hin gemurmelt hatte, gleiten lassen können. Einen kurzen Moment hatte er an der schmalen Brücke verharrt und ein knappes Gebet gesprochen.
    Doch die Schuldgefühle hatten ihn weiter gequält, waren noch bohrender und schmerzhafter geworden, nicht zuletzt wegen des toten Kindes. Deshalb hatte er wenig später ein weiteres Mädchen entführt.
    Diesmal schien alles zu funktionieren, wie er es geplant hatte. Er hatte eine Reise an die Ostsee mit dem Kind gebucht, das er nur mit dem Namen seiner Schwester ansprach, um die Barriere zwischen Yvonne und dem fremden Mädchen zu überwinden. Er wollte die verlorene Zeit nachholen. Eine Fahrt an den Ort, an dem er vor vielen Jahren die Ferien zusammen mit der Familie verbracht hatte, war ihm als beste Lösung erschienen. Doch noch ehe der Tag der Abreise gekommen war, hatte die Polizei ihn geschnappt und all seine Pläne zunichtegemacht.
    Beweise hatten sie nicht wirklich gegen ihn in der Hand, aber – und das hatte ihn fürchterlich erschreckt – sie kannten sein Motiv. Der Kommissar hatte sehr genau gewusst, dass er für den Tod seiner Schwester verantwortlich war, dass er sie auf die Straße gestoßen hatte. Und er hatte auf ihn eingeredet. Pausenlos. Er solle ihnen doch sagen, wo er das andere Mädchen versteckt hielt. Es wäre doch besser für alle Beteiligten. Doch lieber wollte er sterben, als ihnen verraten, wo sich Yvonne befand. Wenn sie nicht zusammen sein konnten, dann war es besser, sie starben. Beide.

    Es kam, wie Brandt erwartet hatte. Teichert sackte bei der Nachricht über Wagners Suizid förmlich in sich zusammen. Er fühlte sich schuld am Tod des Häftlings und auch Brandt verspürte ein ähnliches Gefühl in der Magengegend. Immerhin hatte er darauf bestanden, dass der junge Kollege das Verhör führte. Aber wer hatte schon ahnen können, dass sie mit ihren Vermutungen über das mögliche Motiv derart ins Schwarze treffen würden, dass Wagner sich gleich umbrachte?
    »Hat er eine Notiz hinterlassen?«
    Brandt schüttelte den Kopf.
    »Aber wie sollen wir Marie jetzt finden?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie mussten einfach noch mal alle Möglichkeiten durchgehen. Jeder noch so kleine Bezug zu Wagner konnte eine Spur sein. Jeder Freund, Bekannte, ehemalige Arbeitskollegen. Aber die Zeit drängte. Sie mussten das Mädchen möglichst schnell finden,
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