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Solomord

Solomord

Titel: Solomord
Autoren: Sandra Duenschede
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hatte eigentlich nichts anderes erwartet, aber so kamen sie nicht weiter.
    »Erst einmal vielen Dank, Frau Meurer. Könnten wir jetzt vielleicht noch mit dem Mädchen sprechen, das beobachtet hat, wie Michelle Roeder zu dem Uniformierten ins Auto gestiegen ist?«
    »Natürlich. Aber ich möchte Sie bitten, möglichst behutsam vorzugehen. Ann-Katrin hat furchtbare Angst.«
    Sie nickten und folgten der Lehrerin aus dem Zimmer. Mit forschem Gang ging die ältere Dame voran. Sie hatten Mühe, mit ihr Schritt zu halten, als sie durch den langen Flur liefen, an dessen einer Seite sich in regelmäßigen Abständen die Klassenzimmer befanden. Endlich blieb sie vor einer der Türen stehen und drehte sich kurz um.
    »Einen kleinen Moment bitte.«
    Sie verschwand im Inneren des Raumes. Brandt und sein Kollege traten an das Fenster, das sich gegenüber des Klassenzimmers befand, und blickten hinunter auf den Schulhof. Ein paar Kinder spielten Fußball, anscheinend hatten sie bereits Unterrichtsschluss. Wild jagten sie über den asphaltierten Hof. Ihre Schulranzen dienten als Tormarkierungen. Brandt fühlte sich für einen kurzen Augenblick in seine Kindheit zurückversetzt. Jede freie Minute hatte er als Junge dem Fußball gewidmet. Richtig gut war er gewesen, hatte im Verein gespielt. Von seinen Freunden wurde er nur ›Klein-Janes‹ genannt – wer weiß, wenn seine Eltern ihn nicht gezwungen hätten, einen ›anständigen‹ Beruf zu erlernen, wäre er vielleicht sogar Profi geworden. Geträumt hatte er jedenfalls immer davon. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich vorstellte, dass er vielleicht ein entscheidendes Tor bei der Weltmeisterschaft 1982 geschossen hätte.
    Die Tür des Klassenzimmers wurde geöffnet und Frau Meurer erschien auf dem Flur. Ein kleines Mädchen folgte ihr zögernd.
    »So, Ann-Katrin«, erklärte die Lehrerin mit fester, ruhiger Stimme, »das sind Herr Brandt und Herr Teichert. Sie suchen nach Michelle und hoffen, du kannst ihnen ein wenig helfen.«
    Das Mädchen, dessen dunkle Haare die blasse Gesichtsfarbe besonders hervorhoben, schaute sie mit weit geöffneten Augen an. Brandt beugte sich ein wenig nach vorn, sodass er sich in Augenhöhe mit der Schülerin befand.
    »Du bist also Ann-Katrin?«
    Das Mädchen nickte.
    »Und du bist Michelles Freundin?«
    Wieder bewegte die Kleine nur ihren Kopf auf und ab. Brandt stöhnte innerlich auf. Er konnte verstehen, dass das Mädchen Angst hatte, aber irgendwie musste er sie zum Sprechen bringen. Das letzte psychologische Seminar, das er besucht hatte, lag schon einige Zeit zurück, und darin war es hauptsächlich um Fragetaktiken im Verhör mit mutmaßlichen Tätern gegangen. Er räusperte sich.
    »Hast du gesehen, zu wem Michelle ins Auto gestiegen ist?«
    Diesmal schüttelte Ann-Katrin den Kopf. Das kann ewig dauern, bis wir der Kleinen alles aus der Nase gezogen haben, dachte er, doch unvermittelt schaltete sich Frau Meurer mit ihrer direkt-pädagogischen Art in das Gespräch ein.
    »Nun erzähl mal den beiden Herren bitte, was du gestern gesehen hast!«
    »Ja, also, das war so: Michelle und ich wollten eigentlich zusammen zum Bus gehen«, begann Ann-Katrin zu erzählen und Brandt erschrak beinahe, als er plötzlich die klare, helle Kinderstimme hörte.
    »Aber dann ist mir eingefallen, dass ich meine Sporttasche in der Klasse vergessen hatte. Ich habe zu Michelle gesagt, dass sie auf mich warten soll. Das wollte sie aber nicht. Da haben wir uns ganz doll gestritten. ›Blöde Kuh‹ habe ich sie genannt und sie hat mich …«, das Mädchen zögerte und blickte verlegen zu Boden, »immer ›dumme Fotze‹ genannt.«
    Brandt war erstaunt über Michelles vulgären Umgangston. Solche Kraftausdrücke kannte er von seiner Tochter nicht.
    »Meinen Sie, Michelle ist wegen des Streits mit dem Mann mitgegangen und weggelaufen?«
    »Ganz bestimmt nicht«, versuchte Teichert, das schlechte Gewissen des Mädchens zu beruhigen. »Und was ist dann passiert?«
    »Ich habe meine Sporttasche aus der Klasse geholt. Hier oben vom Fenster aus habe ich aber gesehen, dass Michelle noch auf dem Schulhof war. Doch als sie mich aus der Tür hat kommen sehen, hat sie sich einfach weggedreht und ist gegangen.«
    Brandt kannte dieses zickige Gehabe der Mädchen. Darin stand Lore den anderen in nichts nach.
    »Und da warst du natürlich sauer, oder?«, versuchte er, Ann-Katrins Reaktion zu rekonstruieren. Die Kleine nickte. »Hm, und ich bin ihr hinterhergerannt, weil
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