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Solomord

Solomord

Titel: Solomord
Autoren: Sandra Duenschede
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nichts Auffälliges an Michelles Verhalten festgestellt.
    »Nein«, die Lehrerin schüttelte wieder ihren Kopf, »Michelle war eigentlich wie immer. Wissen Sie, das Mädchen ist sehr still. Eher eine Einzelgängerin. Mir wäre sicherlich aufgefallen, wenn sie irgendwie aufgedreht oder zappelig im Unterricht gewesen wäre.«
    Im Gegensatz zu Martin Schulz schenkte er der Klassenlehrerin des verschwundenen Mädchens wesentlich mehr Glauben.
    »Können Sie uns etwas zu der häuslichen Situation des Mädchens erzählen?«
    Die ältere Dame holte tief Luft, bevor sie seufzend antwortete: »Das ist nicht so einfach. Momentan bin ich Klassenlehrerin von drei unterschiedlichen Klassen. Normal betreut man als Lehrer eine, höchstens zwei Klassen. Aber was erzähle ich Ihnen? Sie wissen sicherlich selbst am besten, wie das mit der Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst aussieht.«
    Sie zuckte entschuldigend mit ihren Schultern.
    »Na ja, und deswegen habe ich kaum Zeit, mich intensiver mit den jeweiligen Familienverhältnissen der Kinder auseinanderzusetzen, geschweige denn, mich mit Einzelproblemen zu befassen. Das ist auch nicht gerade leicht. Die Probleme sind heute eben doch anders als vor 20 Jahren.«
    »Führen Sie denn keine Elterngespräche?« Brandt dachte an die unangenehmen Termine, die er schon des Öfteren bei Lores Klassenlehrerin wahrnehmen musste.
    »Selbstverständlich«, Frau Meurer rückte ihre Brille zurecht. »Da es aber bei Michelle kaum Auffälligkeiten gab, liegt das letzte Gespräch mit ihrer Mutter schon eine Weile zurück.«
    »Worüber haben Sie mit Frau Roeder gesprochen?«
    Die Lehrerin schloss für einen kurzen Moment die Augen, die hinter den dicken Brillengläsern wie kleine Knöpfe wirkten.
    »Ich weiß nicht mehr genau«, entgegnete sie dann.
    »Haben Sie Aufzeichnungen von den Gesprächen?«
    Die Knopfaugen schauten ihn verständnislos an.
    »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Gespräche ich zu führen habe? Wenn ich zu allen Notizen schreiben würde«, Frau Meurer stöhnte leise, »dann hätte ich vermutlich dreimal so viele Überstunden, wie ich sie heute schon ohne diesen bürokratischen Humbug habe!« Ihr Gesicht hatte eine leicht rötliche Färbung angenommen. Teichert versuchte, Verständnis zu zeigen.
    »Das kann ich gut nachvollziehen. Was meinen Sie, was wir manchmal für Aktenberge zu bearbeiten haben. Da kommt der eigentliche Job manchmal fast zu kurz.« Er nickte der älteren Dame zu. »Aber erinnern Sie sich vielleicht, worum es in dem Gespräch ungefähr ging?«
    Erneut schloss die ältere Dame ihre Augen. Unvermittelt begann sie zu reden.
    »Mir war aufgefallen, dass Michelle immer stiller im Unterricht wurde. Ich meine, sie ist eh schon ein sehr ruhiges Kind, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie irgendetwas bedrückte. Ich habe das Mädchen direkt darauf angesprochen. Wissen Sie«, versuchte sie, diese scheinbar unpädagogische Vorgehensweise zu erklären, »manchmal ist es besser, die Kinder ganz ohne Umschweife auf eventuelle Probleme anzusprechen.«
    »Und was hat das Mädchen geantwortet?« Brandt war neugierig, was bei dem vertraulichen Gespräch herausgekommen war.
    »Nichts.«
    Die beiden Kommissare blickten sich fragend an.
    »Nichts?«
    Frau Meurer schüttelte ihren Kopf. »Nein, Michelle hat gesagt, es sei alles wie immer. Angeblich hatte sie nur ab und zu Kopfschmerzen und war deshalb so ruhig.«
    »Aber mit der Mutter haben Sie dann trotzdem gesprochen?«
    »Ja, Frau Roeder war kurze Zeit später bei mir. Wir haben zunächst über Michelles Schulleistungen gesprochen, aber an denen gab es eigentlich nichts auszusetzen. Als ich sie auf das Verhalten und die von ihrer Tochter erwähnten Kopfschmerzen angesprochen habe, wirkte sie sehr erstaunt.«
    »Sie hatte also keine Veränderung an Michelle festgestellt?«
    »Offenbar nicht. Wobei ich natürlich nicht beurteilen kann, wie das Mädchen sich daheim verhält.«
    Die beiden Kommissare nickten.
    »Halten Sie es für möglich, dass Michelle weggelaufen ist? Vielleicht gab es doch häusliche Probleme.«
    Die Lehrerin rückte ihre Brille gerade und blickte Brandt unverwandt an.
    »Für ganz ausgeschlossen halte ich das nicht. Die Mutter erklärte Michelles Verschlossenheit damit, dass ihre Tochter wohl noch immer nicht das Verschwinden des Vaters verarbeitet hat.«
    »Wissen Sie etwas darüber? Kennen Sie den Vater?«
    Zum wiederholten Male schüttelte die ältere Dame ihren Kopf. Brandt seufzte innerlich. Er
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