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Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Titel: Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
Autoren: William Boyd
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entfernt. Er stellte sich vor, wie sie mühelos in ihn eindrangen, durch den Stoff seiner Uniform und die Haut hindurch bis tief in ihn hinein. Sich umdrehen und weglaufen kam nicht in Frage – er würde im Rücken aufgespießt werden. Immerhin hatte er noch die nutzlose Sten, dachte er in den letzten wahnwitzigen Sekunden, die ihm noch vergönnt schienen – er könnte sich zur Seite werfen und mit der MP auf den Kopf des Jungen einschlagen. Bond war nunmehr felsenfest entschlossen, nicht hier zu sterben, nicht in diesem normannischen Obstgarten.
    Der Junge deutete ein Lächeln an und schob die Forke weiter vor, so dass die Zinken das Baumwollgewebe von Bonds Jacke berührten, bereit, ihm den Todesstoß zu versetzen.
    »Englischer Dummkopf«, sagte der Junge.
    Tozers erster Schuss traf ihn mitten in den Hals, der zweite traf ihn in der Brust und warf ihn rücklings um.
    Bond drehte sich um. Hinter ihm lehnte Tozer an einem Apfelbaum. Er senkte Bonds rauchenden Webley.
    »Tut mir leid, Leutnant«, sagte Tozer. »Die Sten taugt einfach nichts.« Er humpelte vor, mit erhobenem Revolver, um den am Boden liegenden Deutschen in Schach zu halten. »Den hab ich sauber erwischt«, sagte er schließlich mit einem zufriedenen Lächeln.
    Bond wurde bewusst, dass er schlotterte, als wäre ihm furchtbar kalt. Er tat ein paar Schritte auf den Jungen zu und betrachtete ihn. Sein Wollunterhemd war blutgetränkt. Das erste Geschoss hatte ihm den ganzen Hals aufgerissen. Große dicke rosa Schaumblasen sprudelten daraus hervor und zerplatzten leise, während seine Lunge sich leerte.
    Bond sank auf die Knie. Er legte die Sten vorsichtig hin und übergab sich.
    Die Ampel sprang auf Grün. Bond betätigte die Gangschaltung und fuhr zügig los. Allmählich begriff er, warum dieser Traum, den sein Unterbewusstsein einem bösen Omen gleich heraufbeschworen hatte, ihn unablässig quälte. Warum hatte er überhaupt daran zurückgedacht? Was hatte diese so detailgetreue, plastische Erinnerung hervorgerufen? Sein Geburtstag? Die Tatsache, dass er sich seines Älterwerdens bewusst wurde? So oder so hatte er an jenem Tag, dem 7. Juni 1944 , eine einschneidende Erfahrung gemacht, wie er nun erkannte: Es war das erste Mal, dass er klipp und klar mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert worden war, das erste Mal, dass er dem Tod ins Auge gesehen hatte. Damals konnte er nicht ahnen, dass diese Erfahrung fortan sein ganzes Leben prägen sollte.

TEIL ZWEI:
    WIE MAN EINEN KRIEG BEENDET

1. Risikoelemente
    »Alles Gute zum Geburtstag, James«, sagte Miss Moneypenny, als Bond ihr Büro betrat. »Oder besser: Alles Gute nachträglich. Hatten Sie letzte Woche einen angenehmen freien Tag?«
    »Eigentlich hatte ich gehofft, Sie würden meinen Geburtstag vergessen«, antwortete Bond mit rauer, belegter Stimme. Er konnte kaum schlucken.
    »Auf keinen Fall. Ich muss doch über alles Bescheid wissen.« Sie stand auf und ging an einen Aktenschrank. »Auch über die banalen Details Ihres Lebens.«
    Moneypennys scherzhafte Art hatte manchmal etwas unangenehm Selbstgefälliges an sich. Es störte Bond ein wenig, dass sie offenbar sein Alter kannte.
    »Sie hätten nicht zufällig ein paar Aspirin für mich?«, fragte er.
    »Sie haben es mit der Feierei also zu bunt getrieben.« Sie kehrte an ihren Schreibtisch zurück und überreichte ihm eine gut gefüllte Aktenmappe, die er mechanisch entgegennahm.
    »Ich habe Halsschmerzen«, sagte er. »Wahrscheinlich eine leichte Erkältung. An den letzten beiden Tagen war ich um acht im Bett.«
    »Dieses Geheimnis behalte ich für mich«, erwiderte sie im gleichen trockenen Ton und zauberte aus dem Nichts ein Glas Wasser. Dann entnahm sie ihrer Schreibtischschublade zwei Aspirintabletten, die Bond dankbar hinunterschluckte.
    Das Lichtzeichen über Ms Bürotür sprang von Rot auf Grün.
    »Auf geht’s, James«, sagte Moneypenny und wandte sich ihrer Schreibmaschine zu.
    M stand an einem der drei Bürofenster mit Blick auf den Regent’s Park. Seine Haltung – der Kopf verschwand beinah zwischen den Schultern – ließ auf einen verspannten Rücken schließen. Er schien tief in Gedanken versunken und bemerkte gar nicht, dass Bond hereingekommen war. Seine Pfeife lag auf der Schreibtischunterlage, ohne Tabak. Bond fragte sich, ob er wieder einmal die endlose, peinigende Prozedur des Pfeifestopfens und Pfeifeanzündens würde erdulden müssen, bevor er herausfand, warum man ihn einbestellt hatte. Schaudernd räusperte er
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