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Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)

Titel: Solo: Ein James-Bond-Roman (German Edition)
Autoren: William Boyd
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Eine Art Krüppel …
    Dann hörte er von der Straße her ein Geräusch und rannte zum Gartentor, drehte den Schlüssel um, der im Schloss steckte, und stürmte hinaus. Im Fluss hatte die Ebbe bereits voll eingesetzt, und das Wasser strömte mit aller Macht in Richtung Meer zurück. Bond sah sich nach beiden Richtungen um. Die Uferstraße wurde in Richmond von Laternen hell erleuchtet, aber es war weit und breit niemand zu sehen. Er glaubte zu hören, wie in einer Seitenstraße ein Auto startete und davonfuhr.
    Zutiefst niedergeschlagen traf Bond seine Entscheidung. Er hatte keine Wahl.
    Er ging ins Haus zurück und goss zunächst einen Finger breit Brandy in ein Schnapsgläschen, nahm einen Schluck und ging in Bryce’ Arbeitszimmer. Er setzte sich an ihren Schreibtisch, um ihr einen kurzen Brief zu schreiben.
    Darling Bryce,
    etwas Unvorhergesehenes, »Geschäftliches«, zwingt mich, plötzlich abzureisen. Du bist viel zu gut für mich und ich könnte Dich niemals glücklich machen. Die wenigen wundervollen Stunden, die ich mit Dir verbringen durfte, bedeuten mir ungeheuer viel. Ich danke Dir von ganzem Herzen und mit ganzer Seele. Adieu.
    In Liebe, J.
    Er trank seinen Brandy aus und stellte das Gläschen auf dem Brief ab. Sie würde das Blatt Papier am Morgen finden, wenn sie nach unten ging, um ihn zu suchen, seinen Namen rufend. Es war Sonntag – sie hatten sich beide schon ausgemalt, was sie am Sonntag machen wollten.
    Bond schloss leise die Tür hinter sich und nahm am Steuer des Interceptors Platz. Dort blieb er eine Weile sitzen, um alles noch einmal zu durchdenken. Im Geist kehrte er immer wieder zu den Bildern von Blessings grauenhaftem Tod zurück, ein Tod, den Kobus Breed herbeigeführt hatte. Vielleicht war der Eindringling im Garten tatsächlich nur ein Einbrecher gewesen, der in Richmond sein Glück versuchen wollte, aber Bond konnte nicht riskieren, dass Bryce für ihre Beziehung zu ihm büßen musste wie Blessing es getan hatte. Er konnte ihr das nicht antun, er wollte sie um jeden Preis vor Unheil bewahren – insbesondere, wenn das Unheil von einem Mann wie Breed verkörpert wurde.
    Er startete den Motor – dessen kehliges Schnurren war so leise, dass es Bryce wohl nicht wecken würde – und rollte langsam aus ihrer Ausfahrt. Unter seinen breiten Reifen knirschte der Kies.
    Im Osten kündeten erste zitronengelb-weißsilberne Streifen vom Beginn des neuen Tages. Der Himmel war klar und wolkenlos. Bond fuhr auf die Londoner Autobahn und gab Gas. Er konzentrierte sich voll und ganz auf die Freuden, die ein so leistungsstarker Wagen wie der Interceptor gewährte, und versuchte, weder an Bryce noch an die Gefahren zu denken, die möglicherweise im Verborgenen gelauert hatten.
    Er setzte die Fahrt entschlossen fort, mit unbewegtem Gesicht und ungewohnt schwerem Herzen.
    Zu Hause angekommen, blieb er noch einen Augenblick im Wagen sitzen. Fast bereute er schon, dass er sich spontan so ritterlich verhalten und Bryce dabei ohne jede Vorwarnung klammheimlich verlassen hatte, mitten in der Nacht. Nachdem sie zusammen eine so schöne, intensive Zeit erlebt hatten, würde es für Bryce einen schweren Schock bedeuten. Und sie würde nie auf die Idee kommen, dass er sie verlassen hatte, um sie zu schützen. Um sie vor der bestialischen Grausamkeit eines Kobus Breed zu bewahren. Bryce wusste nichts über James Bond, sie kannte nur seinen Namen. Sie hatte weder seine Adresse noch seine Telefonnummer. Sie würde ihn niemals finden, egal, wie lange und gründlich sie nach ihm suchte. Und würde er jemals wieder eine solche Frau finden? Das war wohl der Preis, den man für diesen Beruf zahlen musste.
    Bond seufzte. Es war ein stiller, herrlicher Sonntagmorgen. Er dachte an Montag und an M, der ihm einen »interessanten kleinen Auftrag« in Aussicht gestellt hatte. Das Leben geht weiter, dachte er – auch eine Art Trost … Er stieg aus und wurde von einem duftenden, sonnenhellen Tag begrüßt, und als er seine Haustür ansteuerte, erklangen in der Nähe ein paar Kirchenglocken und ein Schwarm von Tauben, die im kleinen Garten mitten auf dem Platz gefrühstückt hatten, erhob sich flatternd in den strahlend blauen Morgenhimmel über Chelsea – und verschwand.
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