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Solarstation

Titel: Solarstation
Autoren: Andreas Eschbach
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rationale Weise nähern.« Und das war ihm nicht geheuer. Japaner legen sehr viel Wert auf ihre Intuition. Schlußfolgerungen, die auf rein logischem Weg zustande kommen, stehen sie sehr mißtrauisch gegenüber.
    Moriyama zog einen Ordner aus seinem Halteclip und schlug ihn auf. Darin war der Schichtplan eingeheftet. »Die Pannen fingen am vierten Tag nach dem Rückflug des letzten Shuttles an. Seither ist keine einzige Energieübertragung mehr geglückt. Was die Frage aufwirft, ob es etwas mit diesem Schichtwechsel zu tun hat.« Die Raumstation wurde alle zwei Monate von einem Spaceshuttle angeflogen, das neue Vorräte brachte, neue Geräte für die wissenschaftlichen Versuche, und die Ablösung für ein Drittel der neunköpfigen Mannschaft.
    »Mit dem letzten Shuttle kam zum Beispiel Sakai.« Moriyama sah mich an und seufzte. »Ein merkwürdiger Mensch. Er versteht alles von Kommunikationstechnik, aber von allem anderen scheint er nicht die geringste Ahnung zu haben, und außergewöhnlich schwer von Begriff ist er außerdem. Ich frage mich manchmal, wie er die psychologischen Eignungstests bestanden hat.«
    Ich versuchte, mir Sakai vorzustellen, wie er im Maschinendeck umherschlich und raffinierte Manipulationen an den Steuerungsautomaten vornahm, aber es gelang mir einfach nicht.
    »Iwabuchi kam auch mit dem letzten Shuttle«, fuhr Moriyama fort. »Und das ist ja nun der genialste Techniker, den ich je gesehen habe. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, aus welchem Grund, aber er könnte es bewerkstelligen, daß die Steuerung nicht mehr funktioniert.«
    Ich blickte auf den Schichtplan. Der dritte neue Name, der dort stand, war Yoshiko Matsushima.
    »Aber selbstverständlich ist jeder andere auch verdächtig«, meinte der Kommandant. »Die zeitliche Übereinstimmung mit einem Schichtwechsel kann Zufall sein, oder ein Ablenkungsmanöver.«
    »Wenn es Sabotage ist«, gab ich zu bedenken, »dann könnte es auch sein, daß uns einer der drei, die beim letzten Schichtwechsel von Bord gingen, das faule Ei hinterlassen hat.«
    Moriyama starrte eine Weile nachdenklich auf das Blatt Papier vor sich. Dann klappte er den Ordner zu und stellte ihn neben sich in die Luft, wo er schweben blieb, unmerklich langsam in Richtung Tür driftend.
    »Mir wäre es auch lieber, wenn ich nur Gespenster sähe, Leonard«, sagte er. »Trotzdem – ich habe das Gefühl, daß irgend etwas an Bord nicht stimmt. Das Gefühl von Gefahr. Eine Staubwolke am Horizont. Ich möchte, daß Sie sich umsehen, unauffällig Augen und Ohren offenhalten. Sie können sich überall in der Station aufhalten, ohne verdächtig zu wirken, und fast jeder an Bord unterschätzt Ihre Intelligenz. Meine Landsleute tun das, rassistisch wie sie nun einmal sind, wegen Ihrer Hautfarbe, und die anderen, weil Sie keinen akademischen Grad haben. Nutzen Sie das bitte aus.«
    Über dieses Thema hatten wir uns schon öfters unterhalten. Moriyama kannte die andere Seite. Während seines Studiums in Kalifornien hatte er jobben müssen, in einem Restaurant, in dem auch seine reichen Kommilitonen verkehrten, und hatte das ganze Spektrum von Herabsetzung, Verachtung und Diskriminierung erlebt. Und seit ich in Japan lebte, hatte ich in Gedanken schon tausendmal meinem Freund Joe von der Fliegerakademie Abbitte geleistet, meinem Freund Joe, dem Schwarzen aus Washington, D.C., der mir vergeblich versucht hatte zu erklären, wie man sich fühlte als Neger, als Nigger, als Mensch zweiter Klasse. »Wenn dich jemand anschaut und du genau spürst, daß sein Blick nur bis zu deiner Haut reicht und keinen Millimeter tiefer, und du siehst, daß ihm das schon reicht, um dich zu beurteilen, dich in eine Schublade zu stecken – das ist Diskriminierung und wenn du das nicht erlebt hast, dann weißt du nicht wie sich Ungerechtigkeit anfühlt.« Das pflegte er immer zu sagen, und ich hatte geglaubt, ihm mitfühlend zuzuhören, und überhaupt, ich war ja kein Rassist, denn ich hatte einen guten Freund, der schwarz war, und das machte mir überhaupt nichts aus. Aber ganz tief unten dankte ich natürlich dem Schicksal, daß es mich als Mitglied der Herrenrasse hatte zur Welt kommen lassen und mir damit diese Probleme erspart blieben. Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, daß ich mich eines Tages wie ein Mensch zweiter Klasse fühlen könnte, weil ich ein Weißer war. Aber trotz all ihrer wohlerzogenen Höflichkeit ließen es einen die Japaner, vor allem die jungen, nie vergessen, daß man
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