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Solarstation

Titel: Solarstation
Autoren: Andreas Eschbach
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Wirklichkeit eine hundertfünfzig Meter lange, ölbohrturmartige filigrane Stabkonstruktion, an deren Ende der Energiesender sitzt. Und die Papierscheibe – das sind die Solarzellen.
    Nur daß es keine Solarzellen im herkömmlichen Sinn sind. Es handelt sich um eine hauchdünne Folie, die nur unter Schwerelosigkeit hergestellt werden kann – und die wir deshalb hier an Bord herstellen –, die zwischen lächerlich mageren Trägern aufgespannt ist und die eine Energieausbeute von ungefähr hundert Watt je Quadratmeter liefert. Und dieser Quadratmeter hat, inklusive der Träger und Energieleitungen, eine Masse von durchschnittlich gerade mal zehn Gramm – weitaus weniger als Papier also.
    Und das Ganze ist wirklich riesig. Es schneidet unser Sichtfeld buchstäblich in zwei Hälften. Wenn wir in der Station aus einem Fenster sehen, sehen wir ringsum diese endlose, wie frisch gefallener Schnee schimmernde Fläche, die bis zum Horizont reicht, und darüber den halben Sternhimmel. Und um diese Jahreszeit auch nur die halbe Erde, die immer am Rand der Scheibe entlangwanderte.
    Man kann im Weltraum, wo alle Belastungen durch Schwerkraft und Luftwiderstand wegfallen, wirklich riesenhafte Gebilde bauen, ohne Probleme zu bekommen. Mitsubishi Industries dachte zur Zeit darüber nach, die nächste Version einer Solarstation zu sponsern, unter der Auflage, daß die Sonnenfläche in Form des Mitsubishi-Firmenlogos und so groß gebaut würde, daß sie mit bloßem Auge von der Erde aus gesehen werden konnte. Ich weiß auch genau, was sich Coca-Cola und McDonald’s zu diesem Thema ausgedacht hätten, wenn sie heute noch die Firmen gewesen wären, die sie in meiner Jugend gewesen waren.
    »Noch zehn Sekunden«, sagte Moriyama.
    Ich starrte meine Anzeigeinstrumente an und bedauerte, nicht aus dem Fenster schauen zu können, was ich sonst oft tat bei den Übertragungsmanövern. In dem Moment nämlich, in dem die darin erzeugte Energie floß, wurde die sonst blendend weiße Fläche auf einmal tief schwarz, und vor dem Hintergrund des Alls wirkte das, als verschwände sie von einem Moment zum anderen spurlos.
    »Wir empfangen den Leitstrahl!« verkündete Sakai.
    »Energie frei!« befahl Moriyama.
    Das galt mir. Ich legte den entsprechenden Hebel um und bildete mir ein, daß ein feines Rucken durch die ganze Station ging. Die Anzeigen wanderten rasch in die grünen Bereiche.
    »Energie fließt«, verkündete die Stimme Iwabuchis aus dem Lautsprecher der Bordsprechanlage.
    »NIPPON, hier Hawaii. Wir empfangen Sie mit zwei Prozent der Nennleistung.«
    »Go-fun. Wir warten fünf Minuten, dann erhöhen wir«, ordnete Moriyama an.
    »Hawaii, hier NIPPON«, sagte Sakai. »Wir senden für fünf Minuten nur den Orientierungsstrahl.«
    »Verstanden, NIPPON.«
    Gespanntes Schweigen. Es war nichts zu hören, kein Wummern von Maschinen, kein Surren und kein Rattern, nichts. Was die normale sinnliche Wahrnehmung anbelangte, hätte alles ebensogut ein Computerspiel sein können.
    Jay brach das Schweigen mit dem Wort, das alle gefürchtet hatten. »Vibrationen.«
    Ein Fluch auf Japanisch, der sicher nicht für unsere Ohren gedacht war, kam über die Sprechanlage. Iwabuchi. Ich verstand kein Wort, aber Yoshiko neben mir schien zu erröten. »Strahl beginnt zu wandern«, sagte sie dann, »ist aber noch im Zielbereich.«
    »Vibrationen werden stärker«, verkündete Jay.
    »Strahl verläßt den Zielbereich!« rief Yoshiko. Unter der Konsole vor mir ertönte ein häßliches, schnappendes Geräusch, ein Geräusch wie von einer Axt, die ein Halteseil mit einem Hieb kappt, und auf einem Bildschirm erschien eine rotblinkende Meldung, daß die automatische Abschaltung erfolgt war, weil die Steuerung des Energiestrahlers den Leitstrahl verloren hatte.
    »Abschaltung«, blieb mir zu verkünden, obwohl alle das Geräusch gehört hatten und seit Wochen genau wußten, was es bedeutete.
    »NIPPON, hier Hawaii. Wir empfangen Sie nicht mehr.«
    »Hawaii, wir hatten eine Notabschaltung infolge Zielverlustes«, erwiderte Sakai.
    Ein halb unterdrückter Fluch, den diesmal ich verstand und die anderen nicht, Jay vielleicht ausgenommen. »Könnt ihr euch nicht mal etwas Originelleres einfallen lassen, NIPPON?«
    Moriyama schaltete sich ein, wohl weil er wußte, daß Sakai mit derlei launigen Bemerkungen nichts anzufangen wußte. »Hawaii, hier Moriyama. Haben Sie die Wanderbewegungen des Strahls registriert?«
    »Ja. Wir können Ihnen die Aufzeichnungen
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