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Solarstation

Titel: Solarstation
Autoren: Andreas Eschbach
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Minuten.
    Yoshiko hatte ihren Platz an der Erdbeobachtung eingenommen. Ich riskierte einen kurzen Seitenblick. Sie drehte an Schaltern, drückte Tasten und war ganz bei der Sache, als wenn nichts gewesen wäre. Dann bemerkte ich einen mahnenden Blick von Moriyama, dem Kommandanten, und widmete mich angelegentlich wieder meinem Kontrollpult. Wenn nur nicht alles so groß in Japanisch und nur so klein – und unvollständig – in Englisch beschriftet gewesen wäre! Auch nach all den Jahren in den Diensten der japanischen Raumfahrt tat ich mich mit dem Lesen der japanischen Schrift immer noch schwer. Okay, ich konnte die Tageszeitung von Tokio entziffern, die wir täglich heraufgefaxt bekamen, aber in der Zeit, die ich für die Titelseite brauchte, hatte ich früher die New York Times einmal ganz durchgelesen.
    Noch zwei Minuten.
    »Hawaii, hier spricht die Raumstation NIPPON. Bitte kommen.« Das war Sakai, der für Funk, Datenübertragung und allgemeine Kommunikation zuständige Operator. Ein verschlossener, humorloser und ziemlich unangenehmer Zeitgenosse, den ich noch nie mit jemandem aus der Crew ein längeres Gespräch hatte führen sehen. Wahrscheinlich hatte er sich beruflich der Kommunikation verschrieben, weil er sie privat absolut nicht beherrschte. Auch daß er fließend Englisch sprach, änderte daran nichts.
    »NIPPON, hier Hawaii«, drang die Stimme des Funkers unten an der Empfangsanlage aus dem Lautsprecher. »Wir haben Sie geortet.«
    »Hawaii, wir sind bereit für den Empfang Ihres Leitstrahls in« – er blickte auf die Missionsuhr – »einer Minute und vierzig Sekunden.«
    »Bestätigt. Wir sind synchron.«
    Ein meckerndes Lachen quittierte diese Durchsage. Sie stammte von James Prasad Jayakar, dem Computerspezialisten, den auf seinen eigenen Wunsch hin alle nur Jay nannten. Er war der Sohn eines indischen Physikers und einer englischen Kybernetikerin und vor kurzem direkt von Cambridge weggekauft worden. Wenn man sich nicht an seinem, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich eigenwilligen Charakter stieß, war gut mit ihm auszukommen, und wenn man bedachte, daß diese Dienstschicht – er war mit dem vorletzten Shuttle vor vier Monaten an Bord gekommen – sein erster Aufenthalt im Weltraum war, dann hielt er sich erstaunlich gut.
    Alle Augen fixierten nun die Missionsuhr. Die Sekunden verstrichen so langsam, als ginge der Zeit ausgerechnet jetzt der Sprit aus.
    In Hawaii ging in diesen Minuten die Sonne unter, und von dort aus gesehen tauchten wir am nördlichen Horizont auf, als winziger, aber mit bloßem Auge gut sichtbarer Punkt am klaren Abendhimmel. In wenigen Augenblicken würden sie uns einen Laserstrahl entgegenschicken, der genau auf unseren Energiesender gerichtet sein würde. Und an diesem Laserstrahl entlang sollte unsere Energie hinab zur Erde fließen, um dort von einem riesigen Empfängergitter aufgenommen zu werden, das, beinahe einen Quadratkilometer groß, nördlich der kleinen Insel Nihoa im Pazifik dümpelte.
    Das hatte auch schon funktioniert. Nur seit zwei Monaten war der Wurm drin.
    Noch fünfundvierzig Sekunden.
    Jeder denkt, das Aussehen der Raumstation sei leicht zu beschreiben, solange er es noch nicht versucht hat. Klar, man weiß, daß es sich um eine Versuchsstation handelt, die hauptsächlich gebaut wurde, um verschiedene Aspekte der Energiegewinnung aus Sonnenlicht und der Übertragung von Energie aus dem Weltraum zur Erde zu erforschen und die zugehörige Technologie zu entwickeln. Und man kann sich auch denken, daß die Raumstation dazu ziemlich große Flächen haben muß, die im Volksmund als Solarzellen oder Sonnenpaddel bezeichnet werden. Was man sich aber nicht denken kann, ist, wie groß diese Flächen tatsächlich sind.
    Am eindrücklichsten fand ich eine Beschreibung, die einmal in einem von der japanischen Raumfahrtbehörde herausgegebenen Prospekt stand.
    Stellen Sie sich vor, hieß es dort, Sie hätten eine kreisrunde Scheibe feinen weißen Papiers, einen halben Meter im Durchmesser, gerade so groß, daß ein Erwachsener sie mit ausgestreckten Armen umfassen kann. Durch den Mittelpunkt dieser Scheibe sei eine kleine Nadel gesteckt. Der winzige Kopf dieser Nadel – das ist die eigentliche Raumstation. Hier leben, arbeiten und schlafen die Mitglieder der Besatzung; hier werden wissenschaftliche Experimente aller Art gemacht, und hier sind auch alle Maschinen untergebracht, die zur Versorgung mit Wasser und Atemluft erforderlich sind. Die Spitze der Nadel ist in
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