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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Autoren: Uwe Johnson
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Lange Wellen treiben schräg gegen den Strand, wölben Buckel mit Muskelsträngen, heben zitternde Kämme, die im grünsten Stand kippen. Der straffe Überschlag, schon weißlich gestriemt, umwickelt einen runden Hohlraum Luft, der von der klaren Masse zerdrückt wird, als sei da ein Geheimnis gemacht und zerstört worden. Die zerplatzende Woge stößt Kinder von den Füßen, wirbelt sie rundum, zerrt sie flach über den graupligen Grund. Jenseits der Brandung ziehen die Wellen die Schwimmende an ausgestreckten Händen über ihren Rücken. Der Wind ist flatterig, bei solchem drucklosen Wind ist die Ostsee in ein Plätschern ausgelaufen. Das Wort für die kurzen Wellen der Ostsee ist kabbelig gewesen.
    Das Dorf liegt auf einer schmalen Nehrung vor der Küste New Jerseys, zwei Eisenbahnstunden südlich von New York. Die Gemeinde hat den breiten Sandstrand abgezäunt und verkauft Fremden den Zutritt für vierzig Dollar je Saison, an den Eingängen lümmeln uniformierte Rentner und suchen die Kleidung der Badegäste nach den Erlaubnisplaketten ab. Offen ist der Atlantik für die Bewohner der Strandvillen, die behäbig unter vielflächigen Schrägdächern sitzen, mit Veranden, doppelstöckigen Galerien, bunten Markisen, auf dem Felsdamm oberhalb der Hurrikangrenze. Die dunkelhäutige Dienerschaft des Ortes füllt eine eigene Kirche, aber Neger sollen hier nicht Häuser kaufen oder Wohnungen mieten oder liegen in dem weißen grobkörnigen Sand. Auch Juden sind hier nicht erwünscht. Sie ist nicht sicher, ob Juden vor 1933 noch mieten durften in dem Fischerdorf vor Jerichow, sie kann sich nicht erinnern an ein Verbotsschild aus den Jahren danach. Sie hat hier einen Bungalow auf der Buchtseite von Freunden auf zehn Tage geliehen. Die Leute im Nachbarhaus nehmen die Post an und lesen die Ansichtenkarten, die das Kind aus dem Ferienlager an »dear Miss C.« schreibt, aber sie beharren auf der Anrede »Mrs. Cresspahl«, und mögen auch sie für eine Katholikin irischer Abstammung ansehen.
    Ge-sine Cress-pål
    ick peer di dine Hackn dål
     
    Der Himmel ist lange hell gewesen, blau und weißwolkig, die Horizontlinie dunstig. Das Licht drückt die Lider nieder. Zwischen den kostspieligen Liegestühlen und Decken ist viel Strand unbelegen, aus den benachbarten Gesprächen dringen Worte wie aus einer Vergangenheit in den Schlaf. Der Sand ist noch schwer vom gestrigen Regen und läßt sich zu festen weichen Kissen zusammenschieben. Quer über den Himmel ziehen winzige Flugzeuge Spruchbänder, die Getränke und Läden und Restaurants anpreisen. Weiter draußen, über der gedrängten Herde der Sportfischerboote, üben zwei Düsenjäger Orientierung. Die Brandung stürzt in den Einschlag eines schweren Geschosses und zerspritzt in den prasselnden Geräuschen, die das Dorfkino abends in Weltkriegsfilmen vorführt. Sie wacht auf von einzelnen Regentropfen und sieht wieder das bläuliche Schindelfeld einer Dachneigung im verdüsterten Licht als ein pelziges Strohdach in einer mecklenburgischen Gegend, an einer anderen Küste.
    An die Gemeindeverwaltung von Rande bei Jerichow. Als ehemalige Bürgerin von Jerichow, und als ehemals regelmäßige Besucherin von Rande, bitte ich Sie höflichst um Auskunft, wie viele Sommergäste jüdischen Glaubens vor dem Jahr 1933 in Rande gezählt wurden. Mit Dank für Ihre Mühe.
    Abends ist der Strand hart von der Nässe, mit Poren gelöchert, und drückt den Muschelsplitt schärfer gegen die Sohlen. Die auslaufenden Wellen schlagen ihr so hart gegen die Knöchel, daß sie sich oft vertritt. Im Stillstehen holt das Wasser ihr in zwei Anläufen den Grund unter den Füßen hervor, spült sie zu. Nach solchem Regen hat die Ostsee einen gelinden, fast gleichmäßigen Saum ans Land gewischt. Beim Strandlaufen an der Ostsee gab es ein Spiel, bei dem die Kinder dem Vordermann jenen Fuß, der eben nach vorn anheben wollte, mit einem raschen Kantenschlag hinter die Ferse des stehenden Beins hakten, dem Kind das sie war, und der erste Fall war unbegreiflich. Sie geht auf den Leuchtturm zu, dessen wiederkehrender Blitz zunehmende Schnitze aus dem blauen Schatten hackt. Alle paar Schritte versucht sie, sich von den Wellen aus dem Stand schubsen zu lassen, aber sie kann das Gefühl zwischen Stolpern und Aufprall nicht wieder finden.
    Can you teach me the trick, Miss C.? It might not be known in this country.
    An der israelisch-jordanischen Front ist wieder geschossen worden. In New Haven sollen Bürger afrikanischer
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