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Solarstation

Titel: Solarstation
Autoren: Andreas Eschbach
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ersten Prozesse gegen die Bodenmannschaften Khalids eröffnet worden waren. Nach unseren ersten Funksprüchen, noch bevor die Öffentlichkeit von dem Vorfall auf der NIPPON in Kenntnis gesetzt wurde, hatten seinerzeit mehrere Einheiten der Fremdenlegion sowie eine französisch-deutsche Eingreiftruppe die Raketenbasis Kourou angegriffen und alle Besatzer, die diese Attacke überlebten, verhaftet.
    Ich mußte an Jayakar denken, der demnächst auch vor Gericht stehen würde, wegen Sabotage und einer Reihe anderer Vorwürfe. Auch ich würde gegen ihn aussagen müssen. Die Ladung als Zeuge hing bereits zu Hause an meiner Küchenpinnwand.
    Ein Bericht über den Krieg auf der Arabischen Halbinsel. Die Dschijhadi-Truppen befanden sich weiter auf dem Rückzug, seit die Belagerung Mekkas vor einigen Wochen plötzlich abgebrochen worden war. Offenbar verbreiteten sich unter den Dschijhadis die Zweifel am Propheten Abu Mohammed wie eine ansteckende Krankheit.
    An meiner Küchenwand hingen auch die drei Briefe, die mir Neil seither gefaxt hatte. Offenbar wollte seine Mutter wieder heiraten; einen Kommandeur der Verteidigungstruppen. Aber ich bleibe immer Dein Sohn, nicht wahr, Dad? hatte Neil geschrieben. Ich hatte immer damit gerechnet, daß mir das eines Tages zu schaffen machen würde, aber zu meiner eigenen Überraschung tat es das nicht. Im Gegenteil, ich fühlte sogar so etwas wie Erleichterung.
    Zu meiner Überraschung entdeckte ich im Feuilleton der Zeitung ein Interview mit Moriyama. Moriyama, dessen Karriere in den letzten Wochen rasante Sprünge vollführt hatte, war mittlerweile Direktor des Bereichs Stellare Energiegewinnung, und in dem Interview kündigte er an, daß definitiv eine weitere, sehr viel größere Solarstation gebaut werden würde, unter Beteiligung etlicher großer japanischer und koreanischer Konzerne, und er hob die Bedeutung der Gewinnung von Sonnenenergie im Weltall hervor mit Argumenten, an die ich mich noch gut erinnern konnte.
    Der Zug schoß endlos durch den Tunnel, von Station zu Station. Ichikawa, Funabashi, Chiba, Ichihara – der lange Weg um die Bucht von Tokio herum. Ich hätte auch die Fähre nehmen können; das wäre schneller gewesen, aber ich bekam auf der Fähre immer Platzangst. Überhaupt wäre ich jetzt gerne allein gewesen, am liebsten hoch oben im Weltraum. Der Gedanke an meine kleine, enge, aber nichtsdestotrotz exorbitant kostspielige Wohnung in dem riesigen Wohnkomplex deprimierte mich regelrecht, und als die Station kam, an der ich hätte aussteigen müssen, blieb ich einfach sitzen.
    Einige Kilometer weiter verließ der Zug den U-Bahn-Tunnel und fuhr oberirdisch weiter. Ich kannte den Weg. So wie heute war ich schon oft gefahren, einfach immer weiter und weiter, bis das Meer in Sicht kam. Hierher zog es mich, wenn ich die Notwendigkeit verspürte, mit mir ins reine zu kommen.
    An der vorletzten Station stieg ich aus, atmete tief den frischen, salzigen Geruch ein, den ein strenger Wind vom Meer herüberwehte, und pilgerte dann hinunter zum Strand. Die steife Brise blähte meine Jacke, während ich ziellos durch den Sand stapfte, immer am Wasser entlang.
    Das Meer blendete, so hell tanzte das Licht auf den Wellenkämmen wie gleißendes Geschmeide. Schreiende Möwen balgten sich hoch oben in der klaren Luft, und in der Ferne erhoben sich sanft die Berge des Hinterlandes.
    Auch hier war es nicht menschenleer – nirgendwo in Japan war es das –, aber doch einsam. Ich konnte etliche Wanderer in der Ferne ausmachen, einzeln oder in kleinen Gruppen.
    Sie störten mich nicht, und ich vergaß bald, daß sie da waren. Ich hob gedankenverloren Kiesel auf und schleuderte sie weit hinaus in den strahlenden Himmel, zog mit der Schuhspitze Furchen in den vom heranrollenden Meer glattgespülten Sand, roch den Geruch von Salz und Fisch und spürte den Wind in meinen Haaren wühlen.
    Irgendwann fiel mir eine kleine, dunkle Gestalt auf, die näher kam. Ich blieb stehen und beobachtete sie eine Weile. Es sah ganz so aus, als hielte sie direkt auf mich zu. Und dann winkte sie sogar. Ich wartete skeptisch ab, während sie näher kam. Es war Yoshiko.
    Sie trug eine dunkelgrüne, fast winterliche Jacke mit pelzbesetzter Kapuze, und der Wind vom Meer machte faszinierende Sachen mit ihrem langen, schwarzen Haar. Sie lächelte mich an, ganz außer Atem. »Ich wußte, daß ich dich hier treffen würde«, sagte sie anstelle einer Begrüßung.
    »Du wußtest es?« fragte ich, einigermaßen verblüfft.
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