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Solarstation

Titel: Solarstation
Autoren: Andreas Eschbach
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aller Schleusendurchgänge.
    Mein Kopf fühlte sich noch immer dumpf und wattig an, aber in irgendwelchen dunklen Ecken stieg eine Ahnung dessen hoch, was hier vorging. Wir starrten alle wie gebannt auf den Bildschirm vor dem Kommandanten, und die Zeit verstrich. Das Raumanzugs-Log blieb unverändert. Kein Raumanzug wurde entnommen, keiner zurückgegeben.
    Aber fünf Minuten, nachdem Sakai die Brücke verlassen hatte, verzeichnete das andere Log einen Durchgang durch die Mannschleuse.

EPILOG
    Die großen Flügeltüren zu dem Saal, in dem seit Monaten der Untersuchungsausschuß tagte, schlossen sich hinter mir, zum letzten Mal, und eine Last fiel von mir ab. Es genügte nicht, etwas zu vollbringen, man mußte nachher auch noch beweisen, daß man nur so und nicht anders hatte handeln können. Und das hatte ich nun. In Sitzungen, die ich zum Schluß nicht mehr gezählt hatte, hatte man mich befragt, mir widersprochen, mich Ereignisse an einem Modell der Solarstation erklären lassen und wieder und wieder den minutiösen Ablauf der Besetzung und der Rückeroberung der Station durchgekaut. Aber nun war endgültig alles protokolliert, waren alle Fragen beantwortet und alle Unklarheiten geklärt. Es stand fest, daß ich nichts getan hatte, was ich hätte lassen müssen, und nichts gelassen, was ich hätte tun müssen. Ich tastete unwillkürlich nach dem Papier mit all den Stempeln und Unterschriften, das mich endgültig entlastete, ehe ich mich der Ruhe und dem Frieden in den leeren Gängen der Raumfahrt-Hauptverwaltung überließ und dem Gefühl, wieder ein freier, unbescholtener Mann zu sein.
    Mit diesem Gefühl ging ich die breite Marmortreppe hinunter ins Foyer, ohne die leiseste Ahnung, was ich aus dem Rest des Tages machen sollte, den ich eigentlich für die Ausschußsitzung verplant hatte und der mir nun überraschend zurückgeschenkt worden war.
    Im Foyer traf ich zu meiner Überraschung auf Tanaka, der ehrlich erfreut schien, mich zu sehen, und mich herzlich begrüßte.
    Wir tauschten ein paar Höflichkeiten aus, und ich gratulierte ihm zu seiner Beförderung in den Kommandantenrang. Ob es stimme, daß er demnächst auf die Solarstation zurückkehre, fragte ich.
    »Hai«, nickte er stolz. »Ich übernehme das Kommando für das nächste Quartal.«
    Ich lächelte. Eigentlich war er mir doch ganz sympathisch. »Herzlichen Glückwunsch.«
    Er neigte in einer typisch japanischen Geste falscher Bescheidenheit den Kopf und fragte dann: »Was haben Sie vor, Leonard? Ich habe Ihren Namen noch auf keiner Liste gefunden…«
    »Ich mache erst einmal Urlaub«, erklärte ich, »und dann… Ich habe ein Angebot aus Seattle, über das ich gründlich nachdenken will.«
    »Ano ne«, machte Tanaka betroffen, »Sie wollen uns also verlassen. Die Raumfahrt ganz aufgeben.«
    »Nicht unbedingt. Es gibt gerade Tendenzen in den USA – zumindest in einigen Bereichen –, wieder in den Weltraum zurückkehren zu wollen. Deshalb sammelt man gerade alle Leute ein, die noch etwas von Raumfahrt verstehen.«
    Tanaka nickte nachdenklich. »Ich wünsche Ihnen, daß Sie die richtige Entscheidung treffen.«
    »Das wünsche ich mir auch, danke.«
    Wir waren schon dabei, uns zu verabschieden, als ihm noch etwas einfiel. »Übrigens, Kim hat vergeblich versucht, Sie zu erreichen. Er wollte Sie wohl zu seiner Abschiedsfeier einladen; er hat ja jetzt den Ruf nach Seoul tatsächlich erhalten. Vielleicht rufen Sie ihn einfach mal an.«
    »Ja«, versprach ich, »das werde ich machen.«
    Als ich durch die Drehtüren ins Freie trat, umfing mich die kalte Luft und das unerwartet intensive Licht eines frühherbstlichen Sonnentages in Tokio. Und die Geräuschkulisse, die sich aus dem Gemurmel all der unzähligen Passanten, dem Surren der Elektroautos und dem unrunden Brummen der methanolgetriebenen Autos zusammenfügte. Die Luft roch frisch und prickelte in der Nase.
    Wann immer und wo immer man in Tokio-Stadt unterwegs ist, man bewegt sich immer inmitten so vieler Menschen, daß einem ein New Yorker Bus zur Hauptverkehrszeit leer und einsam dagegen vorkäme. Ich ließ mich mit dem Strom treiben, bis zur nächsten U-Bahn-Station, wo ich eine englischsprachige Zeitung kaufte und wunderbarerweise einen Sitzplatz fand in der U-Bahn, die mich nach Hause brachte. Auf der Titelseite fand sich – neben den üblichen Meldungen über Regierungskrisen, politische Skandale und den seit fünfzehn Jahren andauernden Balkankrieg – die Nachricht, daß in Frankreich die
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