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Solarstation

Titel: Solarstation
Autoren: Andreas Eschbach
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den heimtückischen Plan Khalids und seines Propheten endgültig vereitelt zu haben, aber da war nur stumpfe Leere in mir.
    Irgendwann hatte das vierte rote Licht angefangen zu blinken, und es war noch so weit bis zur Schleuse. Meine ganze rechte Seite war wie betäubt, und meine Gedanken verwirrten sich zusehends. Es ging zu Ende mit mir.
    Das fünfte, das letzte rote Licht. Unglaublicherweise verschärfte sich der schrille Diskant des Alarms noch. Ich fuhr hoch wie jemand, der eingenickt ist, und stellte fest, daß ich tatsächlich einige Zeit auf ein und derselben Stelle verharrt haben mußte. Mein Atem ging schnell und flach, ein hechelndes Schnappen nach Luft, die keinen Sauerstoff mehr zu enthalten schien, und auf den Lippen schmeckte ich salzigen Schweiß. Ich sah mich um, zu schwach, um mich weiterschleppen zu können. Vielleicht war es an der Zeit, Abschied zu nehmen. Abschied von dem weiten blauen Planeten tief unter mir. Abschied von den Sternen. Abschied von dem seltsamen Leben, das ich geführt hatte.
    Ich hielt Ausschau nach der Stadt in der Wüste, in der jetzt gerade der einzige Mensch erwachte, von dem ich gern Abschied genommen hätte und der nichts von dem ahnte, was sich hier oben abgespielt hatte. Aber Mekka war schon auf die helle Seite entschwunden, nicht mehr sichtbar. Mein Blick irrte über die gewaltige graue Ebene der Solarfläche und blieb an dem winzigen hellen Punkt hängen, der Khalid war. Er hatte die Solarfläche fast erreicht.
    »Leonard!« hörte ich ihn durch das Kreischen des Alarms hindurch schreien. »Ich komme…!«
    In der lethargischen Schwerfälligkeit meiner Gedanken glomm müde die Erkenntnis auf, daß Khalid vorhatte, zurückzukommen, um wenigstens mir endgültig den Garaus zu machen, wenn er es schon mit der Heiligen Stadt nicht geschafft hatte. Ich verfolgte apathisch, wie er erwartungsvoll die Arme ausstreckte, als er den Solarspiegel berührte.
    Er hätte ebensogut versuchen können, sich an Spinnweben festzuhalten. Die Solarfläche wirkte von fern betrachtet gewaltig und massiv wie Panzerstahl, aber in Wirklichkeit bestand sie aus einer Folie, die nicht einmal so dick war wie ein menschliches Haar. Khalid brach durch sie hindurch wie durch ein Trugbild, und wahrscheinlich hatte er nicht einmal einen Hauch von Widerstand gespürt.
    Die zerrissene Folie rollte sich auf, langsam, wie in Zeitlupe, und das Sonnenlicht von der hellen Seite tanzte auf den Fetzen. Ich sah Khalid hindurchschweben, und ich hörte ihn fassungslos schreien, und ich spürte ein Lächeln auf meinen Lippen, und das Licht lockte und rief mich wie eine Verheißung, wie die Antwort auf alle Fragen, wie das Ende allen Leids…
    Doch da waren plötzlich Arme um mich, die mich umfingen und mich hielten und an mir zerrten, mich zurückziehen wollten in die Dunkelheit.
    Ich schrie auf, aber ich war zu schwach, um Widerstand zu leisten, und sie rissen mich mit sich in die Tiefe.

KAPITEL 36
    Ich erwachte in hellem Licht, und ein engelsgleiches Gesicht lächelte sanft auf mich herab. Wärme umhüllte mich, Ruhe und Frieden. Hatte ich es also tatsächlich geschafft, in den Himmel zu kommen.
    Die Gestalt mit dem engelsgleichen Lächeln beugte sich über mich und berührte meine Schulter mit einem schneeweißen Tuch. Der absolut unhimmlische Schmerz, der mich daraufhin durchfuhr, überzeugte mich nachhaltig davon, daß ich noch am Leben sein mußte. Als sich die Tränenschleier um meine Augen wieder geklärt hatten, erkannte ich Yoshiko, die im Begriff stand, meine Wunde zu desinfizieren. Sie lächelte so fernöstlich-unergründlich wie immer. Es war schließlich nicht ihre Wunde.
    Ich öffnete den Mund, aber meine Zunge schien zu enormer Größe angeschwollen und darüber hinaus völlig eingetrocknet zu sein, denn ich brachte keinen Laut heraus, den ein Fisch, der auf dem Trockenen nach Luft schnappt, nicht genausogut oder besser zustande gebracht hätte.
    »Ruhig, Leonard-san«, sagte Yoshiko sanft. »Es ist alles in Ordnung«
    »Die Brücke?« krächzte ich mühsam. »Was ist mit der…?«
    »Es ist alles vorbei.«
    »Haben wir sie zurückerobert?«
    »Ja, Leonard-san.«
    »Haben wir Funkverbindung?«
    »Ja. In zwei Tagen kommt der Shuttle, mit einem Arzt und mit Polizisten…«
    Ich schloß für einen Moment erleichtert die Augen.
    Yoshiko sorgte jedoch mit ihrem medizinischen Eifer dafür, daß ich nicht in die Versuchung kam wegzudösen. Das Desinfektionsmittel brannte wie Feuer, verdammt aber
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