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Solarstation

Titel: Solarstation
Autoren: Andreas Eschbach
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sich dabei um einen Kleiderschrank gehandelt hätte – aber als Wohnraum war sie doch etwas beengend, obwohl man außer an Platz an nichts gespart hatte. Jede Kabine verfügte über einen Anschluß an die Datenbank des Bordcomputers, die genug Lesestoff bot, selbst wenn man während des halbjährigen Aufenthalts nichts anderes zu tun gehabt hätte als zu lesen, ferner über eine eigene Sprechanlage, eine teure Designer-Leselampe an einem biegsamen Hals, etlichen Stauraum für persönlichen Krimskrams und sogar ein Abspielgerät für diese neuartigen Micro-Discs: kleine Speicherelemente von der Größe einer Vierteldollarmünze, die sechzig Minuten Musik in CD-Qualität enthielten – die ideale Soundtrackmaschine für den Raumfahrer mit leichtem Gepäck.
    Und eine kleine Sichtluke hatte meine Kabine, knapp handtellergroß. Ich schob die Blende beiseite und sah hinab auf die geplagte Erde, auf der es so viel unüberschaubarer zuging als früher. Wir überflogen gerade Afrika, und über dem Hoggar-Massiv ging die Sonne auf. Wir sahen zur Zeit immer nur Sonnenaufgänge oder Sonnenuntergänge auf der Erdoberfläche, weil die Raumstation die Erde auf einer von Pol zu Pol laufenden Kreisbahn umrundete, auf der sie selber die meiste Zeit des Jahres nicht in den Erdschatten eintauchte. Vielleicht lagen dort unten jetzt gerade Männer, die den Sonnenaufgang hinter den Läufen ihrer Maschinengewehre erlebten.
    Ich mußte an den Golfkrieg denken, in dem ich gekämpft hatte und der jetzt der Erste Golfkrieg genannt wurde, weil seit einigen Jahren der zweite Golfkrieg tobte, ein Flächenbrand, der die gesamte arabische Welt erfaßt hatte, Nordafrika verheerte und dessen Flammen längst nach Europa und Rußland züngelten. Seit bald einem Jahr belagerten die Dschijhadis die heilige Stadt Mekka, und manchmal, wenn wir Arabien überquerten, bildete ich mir ein, daß die Wüste rot war von Blut. Bilder tauchten in meiner Erinnerung auf, wie ich, gerade einundzwanzig Jahre alt und stark und selbstsicher, mit meinem Kampfflugzeug vom Deck des Flugzeugträgers gestartet war, um todbringende Bomben auf Ziele im Irak abzuwerfen, die der Computer vorgab, und wie die Irakis nicht den Hauch einer Chance hatten gegen mich und Gott auf meiner Seite war. Bilder von der Luftwaffenbasis in Bahrain und von der bildschönen, dunkeläugigen Dolmetscherin Fatima, deren Herz ich gewann, ich, der schlaksige Yankee aus Kansas. Damals war mir das alles andere als unglaublich vorgekommen; damals war ich ein Sieger gewesen, und Sieger kriegen die Mädchen, die sie wollen. Mein Vater hatte es nie verwunden, daß ich eine Araberin geheiratet hatte. Er wurde etwas versöhnlicher, als unser Sohn auf der Welt war, der den Namen Neil bekam, weil ich im Jahr der Mondlandung geboren war, aber ich hatte immer das Gefühl, daß er erst aufatmete, als wir wieder geschieden waren. Vier Jahre hatte es gehalten, dann war Fatima zurückgegangen nach Arabien und hatte Neil mitgenommen. Neil, meinen Sohn. Manchmal hielt ich vom Weltraum aus Ausschau nach ihm, obwohl das völlig idiotisch war, und fragte mich, wie es ihm wohl ging. Der Krieg damals kam mir heute so vor wie das letzte Aufbäumen einer Epoche, deren Zeit vorüber war. In meiner Kindheit war alles so einfach gewesen. Auf der einen Seite waren die Amerikaner, die Guten, und auf der anderen Seite die Russen, die Bösen. Und alles war stabil und überschaubar gewesen, wir waren die Stärkeren, was nichts machte, weil wir ja zum Glück auch die Guten waren, und ab und zu fürchtete man sich ein wenig vor der Bombe. Das war alles. Aber dann verschwand das Reich des Bösen, einfach so, zerplatzte wie eine Seifenblase, und in den Jahren danach konnte man förmlich zusehen, wie Amerikas Bedeutung ebenfalls zerfiel, als hätte es des mächtigen Gegenspielers bedurft, um selber mächtig zu sein. Wir warfen alles weg, brachten uns selber um. Als Fatima und ich geheiratet hatten, hatte ich angefangen zu studieren, mit dem Ziel, Astronaut zu werden. Ganz naiv hatte ich mir gesagt, daß es unübersehbar war, daß die Menschheit die Grenzen des Planeten erreicht hatte und es folglich an der Zeit war, nach Wegen zu suchen, wie man darüber hinaustreten konnte – und dazu wollte ich beitragen. Ein bißchen war ich immer noch der Sieger. Aber dann sagte meine Regierung, nein, ganz falsch, wir geben die Raumfahrt auf, bleiben zu Hause und sparen Energie. Praktisch vor meiner Nase wurde 1999 die NASA aufgelöst, wurde die
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