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Solar

Solar

Titel: Solar
Autoren: Ian McEwan
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doppelt so großen Lärm voranpreschender Fahrzeuge, dazwischen Kolonnen von Lastwagen von der Größe fünf ausgewachsener Reihenhäuser, die jaulend nach Bristol rasten und natürlich von allen anderen überholt werden mussten. Wie lange konnte das noch so weitergehen? Beard, schwach und zermürbt vom Schlafmangel, kam sich vor wie ein Zwerg. Die M4 offenbarte einen Lebenshunger, bei dem er nicht mehr mitkam. Für ihn taugten nur noch Nebenstrecken, Feld- und Fußwege. Während er in seiner Harris-Tweed-Jacke immer mehr zusammenschrumpfte, hörte er Tom Aldous mit dem forschen Selbstbewusstsein eines Musterschülers reden, der genau zu wissen glaubt, was sein Lehrer hören will.
    »Die Verbrennung von Kohle und später Öl hat uns zu dem gemacht, was wir sind, aber heute wissen wir, dass wir damit unsere Lebensgrundlage zerstören. Wir brauchen einen anderen Brennstoff, sonst ist es aus mit uns. Wir brauchen eine neue industrielle Revolution. Da führt kein Weg dran vorbei, die Zukunft gehört der Elektrizität und dem Wasserstoff; andere Energieträger, die saubere Endenergie liefern, kennen wir nicht.«
    »Also mehr Kernenergie.«
    Der Junge wandte den Blick von der Straße und starrte Beard im Rückspiegel an - viel zu lange für den Älteren, der sich auf dem Rücksitz versteifte und woandershin sah, um die Aufmerksamkeit des Fahrers wieder auf die chaotischen Straßenverhältnisse zu lenken.
    »Schmutzig, gefährlich und teuer. Bedenken Sie doch: Wir haben bereits ein extrem zuverlässiges Kraftwerk, das saubere Energie aus der Umwandlung von Wasserstoff in Helium erzeugt, preisgünstig und an guter Lage, nur dreiundneunzig Millionen Meilen von uns entfernt. Wissen Sie, was ich oft denke, Professor Beard? Wenn ein Außerirdischer die Erde besuchte und all dieses Sonnenlicht sähe und dann erfahren würde, dass wir ein Energieproblem zu haben glauben - der würde sich die Augen reiben! Photovoltaik! Ich habe Einstein dazu gelesen, ich habe Sie gelesen. Das Theorem, die Verschmelzung aus Ihnen beiden, ist genial. Für mich ist es Gottes größtes Geschenk an uns, dass ein Photon, das auf einen Halbleiter trifft, ein Elektron freisetzt. Wie wohltätig die Naturgesetze sind, wie großzügig. Stellen Sie sich vor: Da ist ein Mann im Wald, es regnet, und er ist am Verdursten. Mit seiner Axt beginnt er Bäume zu fällen, um den austretenden Saft zu trinken. Einen Schluck pro Baum. Um ihn herum ist alles wüst und leer, und er weiß, er ist schuld daran, dass der Wald so schnell verschwindet. Warum macht er nicht einfach den Mund auf und trinkt den Regen? Weil er so gut im Bäumefällen ist, weil er es schon immer so gemacht hat, weil er die Leute, die das Regentrinken befürworten, für verrückt hält. Dieser Regen ist unser Sonnenlicht, Professor Beard. Er tränkt unseren Planeten, hält unser Klima und alles Leben in Gang. Ein freundlicher Photonenregen, wir brauchen unsere Tassen nur hinzuhalten! Irgendwo habe ich gelesen, mit dem Ertrag von weniger als einer Stunde Sonneneinstrahlung auf die Erdoberfläche ließe sich der Energiebedarf der ganzen Welt ein Jahr lang decken.«
    Beard erwiderte unbeeindruckt: »Und wie bemisst der Verfasser die Sonneneinstrahlung?«
    »Er geht von einem Viertel der Solarkonstante aus.«
    »Zu optimistisch. Das müsste man noch einmal halbieren.«
    »Ich bleibe dabei, Professor Beard. Sonnenpaneele auf einem Bruchteil der Wüstenfläche würden uns alle Energie liefern, die wir brauchen.«
    Aldous' schleppendes Geleier, das so wenig zu dem passte, was er sagte, raubte Beard den letzten Nerv. Mürrisch sagte er: »Wenn man sie verteilen könnte.«
    »Richtig. Neue Gleichstromleitungen! Nur eine Frage von Geld und Engagement. Als ob der Planet das nicht wert wäre! Unserer Zukunft zuliebe, Professor Beard !«
    Beard raschelte mit den Blättern seines Vortrags, um anzudeuten, dass die Unterhaltung beendet sei. Einen Spinner erkannte man erstens daran, dass er glaubte, alle Probleme der Welt ließen sich auf eins zurückführen und lösen. Und zweitens daran, dass er unablässig darüber redete.
    Doch Tom Aldous gab immer noch keine Ruhe. Während sie am Institut eintrafen und der Schlagbaum hochging, fuhr er unbeirrt fort: »Und deshalb, bitte, nichts für ungut, aber deshalb finde ich, dass wir mit dieser Mikrowindgeschichte nur unsere Zeit verschwenden. Die Technologie ist ausgereift. Die Regierung braucht das den Leuten nur noch schmackhaft zu machen - ein Federstrich genügt, den
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