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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
Autoren: Bruno Preisendörfer
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Vorbild

    Als Johann Gottfried Seume am 6. Dezember 1801 unter die Tornisterriemen schlüpfte und sich auf den Weg nach Syrakus machte, war er knapp 39 Jahre alt. Er hatte bereits ein bewegtes Leben hinter sich – und wie es ihn bewegt hatte: Von einer sächsischen Dorfschule in die Leipziger Universität, von der Universität übers Meer in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg nach Halifax, von Halifax erst in ein hessisches Militärlager in Bremen, dann in die preußische Garnison in Emden, von Emden zurück an die Leipziger Universität, von der Universität nach Riga, Russland und Warschau, von Warschau zurück nach Leipzig und Grimma. In einem Verlagsbüro las er Wielands Werke und Klopstocks Oden Korrektur, schrieb selbst Aufsätze und Gedichte und schien endlich sesshaft zu werden.
    Aber der Korrektorenstuhl war zu hart, Klopstock zu hochnäsig und das Mädchen, in das er sich verliebt hatte, hoffnungslos unerreichbar. Das Leben hatte Seume immer wieder verwandelt: den Bauernbub in einen Studenten, den Studenten in einen Soldaten, dann wieder in einen Studenten, noch einmal in einen Soldaten und schließlich in einen Federfuchser wider Willen. Nun lief der Lektor aus dem Büro und ging erneut einer Verwandlung entgegen. Es wurde kein Spaziergang, auch wenn das darüber geschriebene Buch so hieß, sondern ein Gewaltmarsch, ein Abenteuer mit Spelunken, Hürchen und Räuberpistolen – fingerfertig erzählten und handgreiflich auf die Brust gesetzten.
    Nach der Veröffentlichung des Buchs – Reisebericht, autobiographischer Roman und Reportage avant la lettre in einem – blieben Seume noch sieben Jahre. Es sollten bittere Jahre werden, in persönlicher, in politischer und in literarischer Hinsicht. Das Scheitern einer zweiten großen Liebe trieb ihn erneut auf große Reise, diesmal nach Osten und Norden. Das Buch darüber wurde wegen seiner Radikalität in Teilen Deutschlands und in Russland verboten. Andere Schriften konnte Seume erst gar nicht veröffentlichen. Immer schärfer äußerte sich seine Unzufriedenheit mit den Zeitläufen, und die Trauer über den wenig glücklichen Lebenslauf umdüsterte ihn. Gegen die innere Verletzlichkeit wappnete er sich mit betonter Härte im Umgang, der melancholische Grundzug seines Charakters ließ ihn den Stoiker spielen, freilich einen, dem oft genug der Gleichmut fehlte. Die Ungeduld mit sich und den Zeitgenossen wuchs, aber die Machtlosigkeit im Kleinen wie im Großen ließ weder Spiel- noch Handlungsraum. Überall schien Neubeginn nötig, aber nirgends wusste man damit anzufangen.
    Der äußerlich Rastlose wurde innerlich starr. Der Vielbewegte saß verloren in der Stube und fuhr nur noch mit der Feder über das Papier. Aber auch mit seinen letzten Büchern blieb der große Getriebene unter den Schriftstellern seiner Generation buchstäblich auf der Strecke. Den Nachruhm sicherte ihm der Text, der ihn auch zum Vorbild macht: Spaziergang nach Syrakus im Jahr 1802 .
    Seume ist gerade deshalb nicht durch die Gedächtnislücken der Literaturgeschichte gefallen, weil er ein kleines Buch geschrieben hat, jedenfalls nach den großen Maßstäben, wie sie im Hause Herder in Weimar galten. Caroline war empört: »Seumes Spaziergang ist ein unerträgliches Zeug voll Arroganz, Gemeinheit, Großtun im Nichts.« Den Vorwurf der »Arroganz« hatte Seume geahnt und nahm ihn in seiner Vorrede vorweg:
»Es tut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmaßlichkeit gefallen sein sollte.«
    Damit das nicht als Kleinmacherei missverstanden wird, folgt auf der Stelle und erwartbar das Aber.
»Aber es ist schwer, es ist sogar ohne Verrat der Sache unmöglich, bei gewissen Gegenständen die schöne Bescheidenheit zu halten.«
    Caroline Herder hätte das mit einer herrischen Bewegung beiseitegewischt. Ihre literarische Abqualifizierung des Spaziergang wuchs sich zur moralischen Disqualifizierung seines Verfassers aus. Seume galt ihr als »eitler Mensch, der etwas sein will, ein grober Bengel, der mit seinem Ränzel in den niedrigen Wirtshäusern durchgekrochen ist und von da aus die Städte und die Landesverfassung und die Sitten und den Charakter der Nation beurteilt und über die Ohren haut. Und dieser Grobian wird von Böttiger und Consorten in den Himmel erhoben.«
    Carl August Böttiger war ein wichtiger Mann im Weimarer und Leipziger Literaturbetrieb, und obwohl Caroline ihn nicht ausstehen konnte, ähnlich wie ihr Mann, wie Goethe und etliche andere, musste sie hinnehmen, dass er
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