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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
Autoren: Bruno Preisendörfer
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ausgewanderten Bildungsgängers. Wer Schuster wird, kann bei seinen Leisten bleiben und braucht sich um keine höheren Ansprüche zu kümmern. Und wer Grobschmied wird, läuft wenigstens nicht Gefahr, eine brotlose Kunst zu erlernen. Die Funken, die der Hammer schlägt, sind reeller als die Funken beim Verseschmieden:
»Wäre ich Grobschmidt worden«, schreibt Seume als Soldat an einen Freund aus seiner Schulzeit in Borna, den Sohn des Rektors Korbinsky, »dann kennte ich Ramlern und Klopstock nicht und dächte nicht ans Oden dichten, aber ich könnte den Ambos schlagen und mein Schurzleder setzte mir nicht Illiaden ins Gehirne. Warum wurde der Funke geschlagen, dass er zündete und – konnte nicht ausspringen?«
    Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass er später in seinem Leben ausgerechnet an Klopstocks Oden herumfeilen würde, noch dazu mit wenig Anerkennung durch den poetisch sehr und menschlich gar nicht gemochten Meister.
    Als Schüler und Student musste Seume fürchten, die in ihn gesetzten Hoffnungen zu enttäuschen, aber zugleich durfte er sich von der Wahl der anderen, ausgerechnet ihm den vielen versperrten Bildungsweg zu öffnen, über sich selbst hinausgehoben fühlen. Doch wird man von anderen über sich hinausgehoben, wird man von anderen auch aus sich hinausgewiesen. Die helfende Hand gibt mehr als nur Fingerzeige, dass Zukunft nicht mit, sondern nur gegen die Herkunft zu haben ist. Ein auf diese Weise gewonnenes Selbstbewusstsein ist immer fragil. Noch dazu, wenn dies alles in Hochgeschwindigkeit geschieht: Statt »mich noch auf eine Schule zu schicken, wurde ich gleich auf die Universität getan«, schrieb Seume in seiner Autobiographie:
»Und so war ich denn in [innerhalb] einer Zeit von ungefähr drei Jahren ein wilder unwissender Landjunge, ein gänzlicher Analphabete, und Leipziger Student; das ging freilich ein wenig rasch.«
    Wie alles in Seumes Leben, möchte man hinzufügen. Am 9. Oktober 1780 immatrikulierte sich Seume an der theologischen Fakultät.
    Wer fördert, kann auch fordern, und Graf Hohenthal hatte von Seume das Studium der Theologie gefordert. Das war keine besondere Grausamkeit, sondern gewöhnlicher Pragmatismus. Der Geförderte sollte der Förderung baldmöglichst entwachsen, was am zuverlässigsten durch eine religiöse Pfründe zu bewerkstelligen war. Knapp zwei Wochen nach der Immatrikulation schrieb Seume seinem Gönner einen Dankes- und Bettelbrief:
»Ich schulde der Großmut Ihres Herzens alles, was mir zum Leben nötig ist, und ich bin so vollkommen von der Größe Ihrer Wohltaten überzeugt, dass ich mein Leben lang nicht genug dafür danken kann. […] Darum wage ich, Sie ganz ergebenst zu bitten, mich zu unterstützen. Die Geschenke, die Sie mir in den letzten Tagen gemacht haben, sind bereits verwendet. Weil ich die Bücher nicht bei einem Antiquar kaufen konnte – denn diejenigen, welche man in den akademischen Vorlesungen braucht, waren schnell vergriffen –, habe ich von Buchhändlern gekauft, weshalb sie viel mehr kosteten. Sie haben mir befohlen, alles aufzuschreiben, was ich kaufe, und ich setze es Ihnen auf mit einer Liste derjenigen Sachen, die ich nicht entbehren kann. Ich bitte Sie, meine Freimütigkeit zu entschuldigen; ich weiß, dass sie von einer seltenen Menschenfreundlichkeit sind, der ich mein ganzes Glück schulde.«
    Ein dreiviertel Jahr später hielt Seume es in Leipzig nicht mehr aus.
    Der entlaufene Student
    »Es ist am 28ten oder 30sten Juni d. J. ein Student aus Leipzig unter dem Vorgeben, seine Anverwandten zu besuchen, verreist, und zur Zeit weder zu seinen Verwandten noch nach Leipzig zurückgekommen. Er war 18 bis 19 Jahre alt, mittlerer Statur, trug sein schwarzbraun Haar, welches ein wenig tief in die Stirn gewachsen war, in einem steifen Zopfe, und hat sehr starke schwarze Augenbrauen. Bei seiner Abreise trug er ein braunes Kleid von feinem Tuche mit Stahlknöpfen, eine grüne gewirkte Weste, schwarze Beinkleider und Stiefeln. Seine Degenscheide war mit Schlangenhaut überzogen und seine Wäsche mit J.G.S. bezeichnet. Man befürchtet, dass diesem jungen Menschen ein Unglück begegnet sein möchte, und ersucht diejenigen, welche eine zuverlässige Nachricht von ihm erteilen können, dieselbe gütigst in die Zeitungsexpedition zu Leipzig zu geben.«
    Die Befürchtung, dem jungen Menschen möchte ein Unglück begegnen, bestand völlig zu Recht. Seume lief mit seinem Schlangenhautdegen geradewegs hessischen Soldatenwerbern
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