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Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)

Titel: Der waghalsige Reisende: Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben (German Edition)
Autoren: Bruno Preisendörfer
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zurück und fasste den Entschluss, auf allen Fall meine eigene Kraft zu versuchen. […] Nach vielen Kämpfen, die mir allerdings wohl das Ansehen eines Melancholischen geben mochten, ging ich auf und davon, ohne einen fest bestimmten Vorsatz, wohin und wozu.«
    Die letzte Bemerkung ist erstaunlich. Denn unmittelbar darauf folgt die bereits zitierte Passage mit dem Monatsgeld und dem Plan, nach Paris und Metz zu gehen. Einem weniger gehetzten Autor wäre der kuriose Widerspruch aufgefallen, unmittelbar nach der Behauptung, ohne Plan aufgebrochen zu sein, das Ziel dieses Aufbruchs zu nennen. Es ist dies eine der vielen, sehr vielen Stellen in Seumes autobiographischen Schriften, auch im Spaziergang , in denen zwar eins zum anderen kommt, doch hinten und vorne nicht zusammenpasst. Schon in seiner allerersten Publikation, dem 1789 erschienenen Schreiben aus America nach Deutschland , bittet er den fiktiven Leser seines als Brief fingierten Berichts:
Du »musst mir aber verzeihen, wenn Du alles so mischmaschmäßig durcheinander findest. Denn Du weißt wohl, dass ich gar kein guter Methodist, und folglich eben nicht geschickt bin, ein sehr genauer und ordentlicher Beobachter durch alle Kleinigkeiten zu sein.«
    Gerade an den Wendepunkten seines Lebens lässt Seume jede Menge Lücken, die seine Leser büßen müssen. Er hält sie im Ungewissen, führt sie manchmal aus Versehen in die Irre und manchmal mit voller Absicht an der Nase herum. Darauf wird gleich, anlässlich seines Berichtes über seine Anwerbung als Soldat, zurückzukommen sein, und später noch einmal anlässlich der Schilderungen seiner Desertionen erst aus hessischen, dann aus preußischen Diensten.
    An Mein Leben hat Seume unter Schmerzen und mit fliegender Feder gearbeitet. Für Federlesen blieb da keine Zeit. Für das Anfertigen einer Reinschrift aber schon. Wann genau Seume mit der Arbeit an seiner Autobiographie begann, im November 1809 oder, wie der Seume-Kenner Dirk Sangmeister für plausibel hält, schon im Herbst 1808, ist eine der vielen Unklarheiten um diesen geheimnisvollen Text, dessen handschriftliche Urfassung wahrscheinlich verloren gegangen ist und dessen Reinschrift von der Fondation Bodmer in Genf seit dem Ankauf 1937 unter Verschluss gehalten wird.
    Aber vielleicht ist aus den Briefen ohnehin mehr über die Beweggründe seines Weggangs von der Universität zu erfahren als aus seinen Erinnerungen. Am 23. Februar 1782, mehr als ein halbes Jahr nach seinem Verschwinden, wandte er sich an seinen ehemaligen Leipziger Studienfreund Johann Gottlob Korbinsky, Sohn jenes Rektors, dessen väterliche Förderung Seume einst genossen hatte:
»Lieber Bruder! Du glaubst mich vielleicht längst im Reich der Toten, und wirst dich sehr wundern von mir als einen Beweis meines Nochseins einen Brief zu lesen. Was mich von Leipzig weggetrieben, wird Dir nur allzu gut bekannt sein; meine Beruhigung ist, dass es nicht schlechte Streiche sind, und dass man von mir nicht anders als von einem ehrlichen und rechtschaffenen Kerl wird sprechen können.«
    Wir erfahren nicht, was Bruder Korbinsky »nur allzu gut bekannt« war. Bezieht sich Seumes Anspielung auf seine religiöse Krise, auf seine Unstetigkeit oder doch auf ein Mädchen? Ist Seumes Dementi diesen Punkt betreffend wirklich glaubhaft? Schulden können jedenfalls nicht der Grund fürs Fortlaufen gewesen sein, denn die hatte er vorher bezahlt. Auch der Rest des anrührenden Briefs macht die Sache nicht deutlicher:
»Da mich das Schicksal einmal in fremde Länder geschlagen hat, so werde ich auch nicht zurück kehren, wenn es nicht zu meiner Ehre und der Befriedigung meiner Freunde geschehen kann. Der Baron von Hohenthal und M[agister] Schmidt [der Dorfpfarrer] sollen nicht wissen, dass ich noch lebe; ich habe meine Ursachen – folglich – ich verlasse mich auf deine Freundschaft und Verschwiegenheit.«
    Nur wenige Wochen später, mit einem Brief datiert vom 2. Mai 1782, meldet Seume sich selbst bei Hohenthal:
»Hochwohlgeborener Herr, Gnädiger Herr! Werden Sie noch einen Brief von mir lesen wollen? Ich genoss Ihre Wohltaten in einem so hohen Grade, ich hatte Ihnen meinen ganzen Unterhalt zu danken; ich bekam durch Ihre Unterstützung die angenehmste Hoffnung, die schmeichelhafteste Aussicht in die Zukunft; […] Was kann Ihnen meine Entfernung vor Begriffe von meiner Dankbarkeit, von meiner Erkenntlichkeit beibringen?«
    Trotz der Befürchtung, für undankbar gehalten zu werden, kann er dem Förderer
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