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Sohn Der Nacht

Titel: Sohn Der Nacht
Autoren: Steven Spruill
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sagte Merrick. »Adieu, alter Freund. Schlafe wohl.«
    Als er die Kombination wählte, um die massive Tür über ihm zu öffnen, war Merrick sich jedes einzelnen Kückens bewußt, jedes hauchdünnen Geräusches der sich drehenden Stifte. Gewiß würde auch Zane lauschen, das Ohr an die Zellentür gepreßt. Oder vielleicht war er trotz seiner Panik schon auf seinem Weg hinunter in der Lage gewesen, sich die Abfolge von Geräuschen zu merken. Mit der Zeit würde seine Erinnerung an diese Abfolge verblassen, und dann würde alle Hoffnung in ihm sterben. Eine Gnade, viel leicht...
    Nein. An diesem Ort gab es keine Gnade.
    Als Merrick aus dem Gewölbe stieg, verschleierten Tränen seine Augen, verzerrten sein Gesichtsfeld und zwangen ihn, sich seinen Weg trotz des hellen Mondlichtes zu ertasten. Als er die Falltür hinabsenkte, schob er tastend eine Decke von Blättern darüber. Danach blieb er auf Händen und Knien, unfähig, auch nur den Kopf zu heben. Undeutlich spürte er Tränen auf seinen Handrücken regnen. Er biß die Zähne zusammen und kämpfte darum, einen letzten Rest von Selbstkontrolle zu bewahren. Die Verzweiflung war ihm nicht fremd ...
    Aber nie zuvor war sie so schwarz, so erstickend gewesen, so ohne alle Hoffnung auf Erlösung. Er erinnerte sich wieder an Zanes rundes, glückliches Gesicht, als er aus der Wiege mit seinen großen Babyaugen zu ihm aufblickte. Ein Schluchzer entrang sich seiner Kehle, und Merrick weinte, wie er es nicht mehr getan hatte, seit er ein Junge gewesen und mit dem Blut eines Fremden im Gesicht aus seinem Dorf gelaufen war und wußte, daß er seine Mutter oder seinen Vater nie wiedersehen konnte.
    Er spürte eine Berührung an der Schulter und drehte sich mit einem erschreckten Knurren um, um die Hand wegzu schlagen, als er merkte, daß es Karies Hand war. Er hatte sie vergessen. Sie kniete neben ihm und legte zärtlich die Arme
    um ihn. Er ließ sie seinen Kopf an ihre Schulter ziehen. Wenn er doch nur dort Trost finden könnte. Aber für ihn konnte es keinen Trost geben.
    Katie saß mit Merrick in der Küche seines Hauses. Es war drei Uhr nachmittags, und das Ritalin, verstärkt durch das eigene Adrenalin, war noch nicht ganz aus ihrem Nervensystem ver schwunden - und würde es auch so bald nicht tun bei all dem Kaffee, den sie jetzt trank. Zur Hölle damit. Ihr wäre ohnehin nicht nach schlafen gewesen. Der Alptraum war vorüber, und es war gut, einfach nur am Leben zu sein, zu wissen, daß Gre gory in Sicherheit war, gemütlich eingepackt in Merricks Gästezimmer.
    Aber da war noch so vieles, das sie gern gewußt hätte - das sie wissen mußte.
    »Noch mehr Kaffee?« fragte Merrick. »Aber sicher.«
    Er wandte kaum die Augen von ihr, nicht einmal, um ihr
    Kaffee einzuschenken, aber es war ein neugieriger Blick, der
    ihr Gesicht wieder und wieder abtastete und nie an ihren
    Augen hängenblieb. Seit sie in sein Haus zurückgekommen
    waren, war er so gewesen, und sein ominöses Schweigen im
    Wagen war ersetzt worden durch diesen neugierigen Blick.
    Fürchtete er etwa, sein Geist werde ihm Zane zeigen, wenn er
    von ihr wegsah? Wie gräßlich mußten diese letzten Augen blicke mit seinem Sohn für ihn gewesen sein.
    »Du hast es richtig gemacht«, sagte sie.
    Er antwortete nicht.
    »Möchtest du darüber reden?«
    »Nein.«
    Würde er je in der Lage sein, darüber zu reden? Plötzlich
    hatte sie die Überzeugung, er werde es nicht. Und vielleicht war das für ihn auch das beste.
    Katie dachte an ihren eigenen Sohn, der in dem anderen Zimmer schlief. Merrick liebte Gregory, wie hatte sie nur daran zweifeln können, auch nur eine Minute? Er hatte Gre gory für den Fall zu sich geholt, daß Zane herausfand, daß er in Meggans Haus war. Zane hatte es natürlich nicht herausge funden - in diesem Punkt war sie sehr vorsichtig gewesen.
    Bis sie irgend etwas falsch gemacht haben mußte. Der Gedanke, daß Zane am Ende doch noch Gregory aufgespürt hatte, ließ Katie innerlich kalt werden. Sie fragte Merrick, wie es geschehen war.
    Er blickte auf ihren Mund. Einen Augenblick lang glaubte sie, er habe sie nicht gehört. Dann sagte er: »Ich mußte anneh men, daß Zane es wußte oder kurz davor war, es zu erfahren. Diese Markierungen an deiner Kehle...« Er schweifte ab. Immerhin waren das die ersten zusammenhängenden Worte gewesen, die er gesagt hatte, seit sie ihn von Jennys Haus hier hin zurückgefahren hatte.
    »Ich verstehe nicht«, drängte sie.
    Wieder schien er nicht zuzuhören.
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