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Sohn Der Nacht

Titel: Sohn Der Nacht
Autoren: Steven Spruill
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selbst zu dieser späten Stunde noch jemand dort; sicher brutzelte der Grill vor sich hin und verbreitete den anheimelnden Duft von Fleisch und Zwie beln. Beim Essen könnte er dann die Gesellschaft von Joe
    Leaphorn und Jim Chee genießen, den beiden Navajo-Cops, die wieder gemeinsam in Tony Hillermans letztem Roman auftraten. Merrick mochte die Art, wie die beiden - vor allem Chee, der angehende Arzt - die Vergangenheit ihrer indiani chen Vorfahren in Ehren hielten. Obwohl sehr jung, umgab sie doch die Aura einer Weisheit, die über Hunderte von Jah ren zurückreichte, und das war wohl auch der Grund, warum er sich so sehr zu ihnen hingezogen fühlte.
    Als Merrick sich anschickte, auf der Kreuzung zu wenden, knackte sein Funkgerät. Die Zentrale sendete das Signal für Mord und bat um Rückmeldung in der Nähe befindlicher Einheiten. Merrick erfaßte sofort die Adresse: Ecke Massachu setts und Wisconsin - die National Cathedra! von Washington. Er riß das Mikro aus der Halterung.
    »Regina - hier Merrick. Ich kümmere mich darum.«
    »Was sucht denn ein Lieutenant der Detectives in einer Nacht wie dieser draußen? Aber wenn ich noch mal drüber nachdenke, will ich es ja im Grunde gar nicht wissen. Übri gens - vielen Dank für das, was Sie getan haben.«
    »Was habe ich denn getan?«
    »Nun spielen Sie nicht den Unwissenden. Ich weiß, daß Sie meinem Jungen den Job bei Giants verschafft haben - Freddy hat mir erzählt, den Ausschlag habe gegeben, daß Sie sich für ihn verwendet haben. Vielen Dank - ehrlich!«
    »Keine Ursache. Wir haben also einen Mord?«
    »Ich fürchte, ja. Sehen Sie sich den Mann am South Drive doch mal an.«
    »Alles klar - Ende.« Merrick setzte die Signallampe mit dem Magnetfuß aufs Wagendach und fuhr los. Ein Mord in der Kathedrale? Er knirschte mit den Zähnen. Warum unter allen denkbaren Stellen in Washington ausgerechnet dort? Während er die langgezogene Steigung zum Hügel von St. Albans hinauffuhr, zerrte der Wind an seinem Straßen kreuzer und zwang ihn, das Lenkrad wieder stärker zu umklammern. Kurz vor Erreichen des Gipfels fuhr er auf das Gelände der Kathedrale.
    Die westliche Fassade war in Scheinwerferlicht gebadet. Nebelfetzen jagten über die Spitzen der Zwillingstürme von St. Peter und Paul. Merrick hielt sich rechts in Richtung South Drive, umrundete die Türme und verlangsamte die Fahrt, als er auf dem Rasen südlich der Kathedrale einen Mann mit einem dunklen Mantel sah. Der Mann machte einen zögernden Schritt auf ihn zu, blickte zu dem rotierenden Licht auf dem Wagendach hinauf und winkte ihn dann näher heran. Merrick holte die Taschenlampe unter dem Armaturenbrett hervor, stieg aus und ging die leichte Steigung zu der langge streckten südlichen Mauer der Kathedrale hinauf. Der Mann eilte ihm entgegen. Er war um die Sechzig, ein Gesicht voller Lachfältchen, verzerrt in einem Horror, der Merrick das Herz sinken ließ.
    »Ich bin David Monroe«, sagte der Mann, »einer der Prie ster hier. Ich habe die Leiche gefunden ... da drüben.« Ohne hinzusehen, deutete er auf die Holunderbüsche in der Ecke, die die Rückwand eines der Türme mit der Südwand bildete.
    »Detective Lieutenant Chapman.« Merrick zeigte ihm sein Abzeichen.
    »Es ist schrecklich«, sagte der Priester.
    »Eine junge Frau. Sie ...« Was er sonst noch hatte sagen wollen, ging unter im Klappern seiner Zähne.
    Vom South Drive her vernahm Merrick das Quietschen von Autoreifen. Als er sich umwandte, sah er, wie hinter sei nem Straßenkreuzer ein Streifenwagen auffuhr. Dieselben Cops, mit denen er eben noch in Georgetown zusammenge troffen war, stiegen aus. Er winkte sie in Position, einen an die Wand der Kathedrale, den anderen an die Ecke South Drive.
    Er wandte sich wieder an den Priester. »Können Sie es mir zeigen?« fragte er.  
    Der Mann blickte ängstlich zu den Büschen hinüber. »Ich... ja, natürlich.«
    Merrick richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Stelle, auf die der Priester deutete. Die Schatten der belaubten
    Zweige ließen den Leichnam wie ein Mosaik wirken - ein kalkweißes Gesicht, ein eingetrockneter Blutfleck auf einem schicken Sweatshirt... großer Gott, ihre Kehle! Der Anblick der zerfetzten Haut der Frau war wie ein Schock für Merrick; er warf den Kopf zurück und ließ ein lautes Stöhnen hören. Dann löschte er die Taschenlampe und ließ das Laken der Fin sternis ihren Körper wieder gnädig bedecken. Die Zweige des Holunders knisterten und raschelten im Wind.
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