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Sohn Der Nacht

Titel: Sohn Der Nacht
Autoren: Steven Spruill
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und Mus keln, kräftiger und besser durchtrainiert als die eines durch schnittlichen Zeitgenossen, schluckten den größten Teil des Aufpralls und leiteten den Rest an seine abrollenden Schul tern weiter. Als er aufsprang, überkam ihn eine plötzliche, machtvolle Überzeugung, daß das Blut auf dem Wasserspeier ihm ganz persönlich gegolten habe: Ein Fehdehandschuh war ihm entgegengeworfen worden. Kalte Wut überfiel den Lieu tenant.
    Du bist zurück. Wie kannst du es wagen?
    Dr. Katherine O'Keefe kauerte über ihrem Mikroskop. Die roten Blutkörperchen waberten und verschwammen vor ihren Augen. Sie konnte spüren, wie die Erschöpfung an den Sehnen hinter ihren Schulterblättern nagte. Die Augen schmerzten, und ihre Lungen fühlten sich trocken an, als atme sie wieder und wieder dieselbe Luft. Ein langer Tag.
    Eine kleine Dosis Dexedrin vielleicht?
    Eine Sekunde lang konnte sie die milde, leicht bitter schmeckende Tablette voller Verheißungen hinten in ihrer Kehle fast körperlich spüren. Das plötzliche, feine Echo des Verlangens durchrieselte sie. Würde je der Tag kommen, an
    dem sie davon ganz frei sein würde? Sie hatte das Zeug neun Jahre lang nicht angerührt, seit ihrem Praktikum nicht mehr. Sie hätte es nie anrühren sollen, nicht Katie O'Keefe, die nicht einmal gern ein Aspirin nahm. Aber in diesem ersten Jahr war sie gegen Ende einer 36-Stunden-Schicht eingeschlafen, als sie das Herz eines Patienten abhörte, und erst wieder aufge wacht, als ihr Kopf auf eine Ecke des Untersuchungstisches aufgeschlagen war. Die Panik und Verzweiflung hatte sie nie mehr vergessen, die Gewißheit, daß sie es nicht ohne Hilfe bis in ihr zweites Jahr schaffen würde. Sie hatte sich selbst ver sprochen, es unter Kontrolle zu halten, nur eine einzelne Dosis hie und da in den schlimmsten Nächten. Zwei Monate später war es zur Regelmäßigkeit geworden, zwei oder drei Tabletten pro Nacht, Dexedrin, Ritalin, Amphedroxin - was immer sie bekommen konnte. Daher hatte sie sich drei Tage krank gemeldet, um davon loszukommen. Nachdem sie sich wieder zurückgemeldet hatte, war sie eine Woche lang davon überzeugt, jeder könne das leichte Zittern ihrer Hände sehen. Ihre Kehle kribbelte jedesmal vor Verlangen, wenn sie am Medikamentenschrank vorbeikam. Aber sie hatte die Hände in den Taschen vergraben, wann immer sie konnte, und sich durch die dunklen Flure der Erschöpfung hindurchgekämpft, bis die Abhängigkeit mehr und mehr geschwunden war und nur noch gelegentlich der Geist der Versuchung zurückge kommen war; denn es schien, als könne ein Teil ihres Gehirns den Rausch nie mehr vergessen.
    Nie wieder, dachte Katie.
    Sie schob das Mikroskop zurück, erhob sich, reckte die Arme zur Decke empor und holte tief Luft, die ganz leicht nach Paraffin roch. Ihr Blick fiel auf die Uhr über der Labortür: Sieben Uhr fünfzehn.
    Sie dachte an den kleinen Gregory daheim. Just in diesem Moment würde seine Großmutter ihn baden. Es war Zeit, Fei erabend zu machen, entschied Katie. Sie fühlte sich auf der Stelle um vieles leichter bei dem Gedanken, ihren Sohn zu nehmen, die Seife auf seiner Haut zu riechen und sein glück liches Plappern zu hören. Immer schneller lernte er neue Worte, und seine Sätze wurden jeden Tag länger und verstä ndlicher. Kaum zu glauben, daß er erst zwei Jahre alt war.
    Erfüllt von neuer Energie, zog Katie sich den Laborkittel aus und eilte zur Tür. Das Telefon klingelte. Sie zögerte, die Hand am Türknauf. Soll doch eine der MTAs abheben, dachte sie. Hinter ihr schrillte das Telefon weiter, drängend und anklagend zugleich. Seufzend gab sie nach. »O'Keefe.«
    »Schwester Rosa von der östlichen Drei. Bin froh, Sie noch zu erreichen. Jenny Hrluska fragt nach Ihnen.«
    Karies Ärger über die Störung legte sich schnell. Jenny war eine ihrer liebsten Patientinnen - ein niedliches kleines Mädchen, das sich seiner Leukämie mit mehr Courage stellte als die meisten Erwachsenen. »Irgendwelche Veränderungen?«
    »Nicht direkt. Der Hautausschlag könnte ein wenig schlimmer geworden sein. Sie scheint Schmerzen in den Armen zu haben, obwohl sie das leugnet. Ich glaube, sie ist einfach nur wegen irgend etwas erschreckt. Ich habe ver sucht, sie zu beruhigen, aber niemand von uns scheint so gut an sie heranzukommen wie Sie.« Rosa sagte das im Ton gut mütigen Neids. »Oh, noch etwas - sie sagt ständig, sie habe Hunger. Das hören wir fast jedesmal, wenn wir zu ihr hinein gehen. Wir haben ihr alles mögliche
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