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Sog des Grauens

Titel: Sog des Grauens
Autoren: Bagley Desmond
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heranzog, schon wußte, daß er unerfreuliche Tatsachen herausfinden würde. Er arbeitete stetig den ganzen Vormittag und verwandelte die Zahlen in ausdrucksvolle Linien in einer Wetterkarte – das Skelett der Wirklichkeit, die Abstraktion eines Hurrikans. Als er die Karte fertig hatte, sah er sie geistesabwesend an und heftete sie dann an ein großes Brett an der Wand seines Büros.
    Er hatte gerade begonnen, ein Formular auszufüllen, als das Telefon klingelte. Sein Herz hüpfte, als er die noch nicht vergessene Stimme hörte. »Julie!« rief er aus. »Was machst du hier?«
    Die Wärme ihrer Stimme siegte über die Elektronik. »Eine Woche Urlaub«, sagte sie. »Ich war in Puerto Rico, und ein Bekannter hat mich von dort in seinem Flugzeug mitgenommen.«
    »Wo bist du denn jetzt?«
    »Ich habe mich gerade im Imperiale angemeldet, ich wohne hier. Mann, was für ein Stall!«
    »Es ist das Beste, was wir zu bieten haben, bis Conrad Hilton hier baut – und wenn er bei Verstand ist, tut er das nicht«, sagte Wyatt. »Es tut mir leid, du kannst nicht gut in den Stützpunkt kommen.«
    »Es ist schon in Ordnung«, sagte Julie. »Wann sehe ich dich?«
    »O Schreck!« sagte Wyatt ärgerlich. »Ich werde den ganzen Tag arbeiten müssen. Es wird erst heute abend sein. Könnten wir zusammen zum Essen gehen?«
    »Ja, fein«, sagte sie, und Wyatt meinte, eine Spur von Enttäuschung herausgehört zu haben. »Vielleicht könnten wir in den Maraca Club gehen – wenn es ihn noch gibt.«
    »Er existiert noch, obwohl es mir ein Rätsel ist, wie Eumenides das macht.« Wyatts Blick ging zur Uhr. »Also, Julie, ich muß mich schrecklich beeilen, wenn ich den Abend freinehmen will; es tut sich augenblicklich allerhand bei mir.«
    Julie lachte. »Schon gut; kein langes Schwatzen am Telefon. Plaudern wir lieber, wenn wir zusammen sind. Also bis heute abend!«
    Sie hängte ein, und Wyatt legte den Hörer langsam zurück. Dann drehte er sich mit seinem Stuhl gegen das Fenster, durch das er über die Santego Bay auf St. Pierre sehen konnte. Julie Marlowe! dachte er, noch ganz erstaunt. Also so etwas! Er konnte das Imperiale in dem unordentlichen Häuserhaufen, der St. Pierre darstellte, so eben erkennen, und ein Lächeln spielte um seinen Mund. Er kannte sie noch nicht lange, eigentlich nicht. Sie war Stewardeß bei einer Fluglinie, die zwischen Florida und den karibischen Inseln verkehrte, und er war durch einen Zivilpiloten, einen Freund von Hansen, mit ihr bekanntgemacht worden. Es war schön gewesen, solange es dauerte – San Fernandez hatte auf ihrer Strecke gelegen, und sie hatten sich zweimal in der Woche getroffen. Sie hatten drei schöne Monate gehabt. Dann war es plötzlich vorbei, als die Fluggesellschaft zu dem Schluß kam, die Regierung von San Fernandez, speziell Präsident Serrurier, mache ihr das Leben zu schwer. Sie strichen St. Pierre von ihrem Flugplan.
    Wyatt dachte nach. Das war zwei Jahre her – nein, schon fast drei Jahre. Er und Julie hatten einander zuerst regelmäßig geschrieben, aber im Laufe der Zeit waren ihre Briefe seltener geworden und die Zwischenräume länger. Eine Freundschaft durch Briefe zu erhalten ist schwierig, besonders zwischen Mann und Frau, und er hatte jeden Augenblick damit gerechnet, daß sie ihm mitteilen würde, sie habe sich verlobt – oder verheiratet –, und das wäre praktisch das Ende der Geschichte gewesen.
    Er warf den Kopf herum und sah auf die Uhr. Dann drehte er sich zu seinem Schreibtisch und nahm sich das Formular wieder vor. Er war fast fertig, als Schelling, der ranghöchste Marinemeteorologe im Stützpunkt von Cap Sarrat, hereinkam. »Hier ist das Neueste von Tiros über Ihren Schützling«, sagte er und warf eine Serie Fotos auf den Schreibtisch.
    Wyatt griff nach ihnen, und Schelling sagte: »Hansen erzählte mir, Sie seien ziemlich durchgeschüttelt worden.«
    »Er hat nicht übertrieben. Sehen Sie sich das an!« Wyatt zeigte auf die Karte an der Wand.
    Schelling ging zu der Tafel hinüber und spitzte seine Lippen zu einem Pfeifen. »Sind Sie sicher, daß Ihre Instrumente richtig funktioniert haben?«
    Wyatt stellte sich neben ihn. »Es besteht kein Grund, daran zu zweifeln.« Er zeigte mit dem Finger. »870 Millibar im Auge – das ist der niedrigste Druck, den ich bisher irgendwo angetroffen habe.«
    Schellings geschulte Blicke gingen über die Karte. »Hoher Druck am Rande – 1.040 Millibar.«
    »Ein Druckgefälle von 170 Millibar über eine Strecke von
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