Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein

Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein

Titel: Söhne der Erde 01 - Unter dem Mondstein
Autoren: Susanne U. Wiemer
Vom Netzwerk:
hatte das Geräusch gehört. Huschende Schritte. Das kaum wahrnehmbare Surren, mit dem Türen auseinanderglitten. Es kam von oben. Von der Galerie, auf der er vor zwei Ewigkeiten selbst gestanden und in die Halle hinuntergesehen hatte. Instinktiv wirbelte er herum, wich einen Schritt zurück, bis er gegen die schimmernde Kuppel stieß, und warf den Kopf in den Nacken.
    Gestalten!
    Schwarz gekleidete Wächter, die wie Schemen über der weißen Brüstung auftauchten, die Waffen im Anschlag.
    »Vorsicht!« schrie Charru noch - und da sah er bereits, wie der dünne rote Flammenstrahl aus einem der Rohre zuckte.
    Er warf sich zur Seite.
    Etwas streifte seinen Arm, fraß sich tief ins Fleisch, schien seinen Körper in Flammen zu setzen. »Nein!« schrie eine Stimme, die er nicht erkannte. Er überschlug sich am Boden, kam blindlings wieder hoch - und plötzlich erfüllte ein klirrendes, irrwitziges Singen die Luft, das sich wie ein glühender Nagel in sein Gehirn bohrte.
    Charru kauerte auf Händen und Knien und versuchte, den Schleier von seinen Augen zu durchdringen.
    Er sah, wie der dünne rotglühende Strahl die Kuppel des Mondsteins traf.
    Er sah Funken sprühen, sah ein Messer aus weißglühender Helligkeit, das tief in die schimmernde Halbkugel einschnitt. Er sah die Risse, die sich in der Kuppel bildeten, hörte das unbeschreiblich hohe, helle Klirren, und als der Feuerstrahl endlich erlosch, wußte er, daß es zu spät war.
    Der Mondstein zerbrach.
    Keine Macht der Welt konnte den Lauf der Dinge jetzt noch aufhalten...
IX
    Im Tempeltal dröhnte die Trommel in dumpfen, unablässigen Wirbeln.
    Die Menschen hatten sich in ihren Häusern verkrochen, zitternd, lauschend, starr vor Angst. Sie begriffen nicht, was das alles bedeutete. Charru von Mornag sei tot, hatte es geheißen, und jetzt sollte er an der Seite des schwarzen Gottes gesehen worden sein. Und der Gott hatte sich abgewandt. Er hatte nicht zu den Priestern gesprochen und kam nicht zurück, sosehr sie auch die Trommel rührten.
    Furcht lähmte die prächtige Stadt, lastete wie ein Gewicht auf dem Tal und schien drohend durch die Straßen zu schleichen.
    Im Tempel kamen die Priester stumm und bleich ihrer Pflicht nach.
    Bar Nergal hatte gesagt, daß nur ein ungeheures Opfer die Götter wieder versöhnen könne. Ein Menschenopfer, ein heiliges Opfer - nicht irgendein gefangener Wilder oder ein Sklave. Die Wahl war auf jenen unglücklichen Akolythen gefallen, dessen Geist die Götter verwirrt hatten, so daß er seltsame Dinge sah, die niemals wirklich geschehen sein konnten. Kein menschliches Wesen vermochte durch das Tor der Götter zu treten. Und kein menschliches Wesen konnte zurückkehren, wenn der schwarze Fluß es in die Ewigkeit getragen hatte.
    Oder war Charru von Mornag für würdig befunden worden, auf den Wegen der schwarzen Götter zu gehen?
    Hatten die Götter ihn auserwählt? Hatten sie ihm sogar erlaubt, seine Gefährten in jenes unbekannte Reich zu holen?
    Nein, dachte der Oberpriester.
    Unmöglich! Unmöglich!
    Aber der Stachel saß tief in seinem Geist, und die Angst, mit der er all die Jahre geherrscht hatte, begann sich gegen ihn selbst zu wenden.
    Konnte er die Götter falsch verstanden haben?
    Waren vielleicht nicht die Priester, sondern die Wilden des Tieflands im Besitz der Wahrheit? Und würde nun, da die Götter die Geduld verloren hatten, die Stunde der Rache anbrechen?
    Bar Nergal starrte auf den schwarzen Opferblock.
    Furcht schüttelte ihn. Was er auch tat, es konnte schrecklich falsch sein. Er mußte beten, das war es! Er mußte die Götter um Erleuchtung anflehen und um Vergebung, weil er ihnen falsch gedient hatte. Ja, er hatte ihnen falsch gedient. Sie hatten in Rätseln gesprochen und gezürnt, und dann hatten sie sich abgewandt, weil er nicht imstande gewesen war, ihren Willen richtig zu deuten. Bar Nergals fahle Lippen zuckten. Heftig wandte er sich ab, gab den erschrockenen Priestern ein Zeichen, zurückzubleiben, und schritt die endlose Treppe der Pyramide hinunter.
    Vor der schwarzen Felswand blieb er stehen.
    Eine hoch aufgerichtete Gestalt, groß und düster in der blutroten Robe, furchterregend für alle, die ihn sahen. Aber jetzt fraß sich die Furcht in seine eigene Seele. Jetzt zitterten seine Hände, jagte sein Puls - jetzt fühlte er so wie jene vielen Unglücklichen, über die er in all den Jahren seine grausamen Strafen verhängt hatte.
    Vergeblich suchte er nach Worten.
    Er fand sie nicht. Es gab endlose
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher