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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen
Autoren: Willi Fährmann
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kennst doch sicher das Lied Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh, sie verkaufen ihre Federn und schlafen auf Stroh.«
    »Schläfst du auch auf ’nem Strohsack, Käthe?«
    Frau Malik lachte. »Ich habe mein Zimmer drüben im Quellenhof. Dort gibt es so etwas nicht. Hier im Tannenhaus geht es bescheidener zu.« Sie bezog das Bett. Kein Fältchen kräuselte das Betttuch. Makellos glatt lagen Oberbett und Kissen. »So muss es sein, Ruth. Die anderen Mädchen hier in der Stube werden dir sicher in den ersten Tagen helfen. Aber bald ist dir alles in Fleisch und Blut übergegangen. Weißt du, wo so viele Kinder zusammenwohnen, da muss alles genau geregelt sein. Sonst würdet ihr bald wie im Schweinestall hausen.«
    Frau Malik ging zur Tür. »Ich muss zurück zum Quellenhof. Sieh dich inzwischen ein wenig im Haus um. Du kannst auch zu den anderen gehen. Vorerst besuchst du die Dorfschule. Morgen nach dem Frühstück geht es los. Esther Salm wird dich begleiten. Und vergiss nicht, deine Schultasche zu packen.«
    Ruth hörte Frau Maliks Schritte auf der Treppe. Bedrückt setzte sie sich auf einen Hocker. Sie fühlte sich verlassen. Warum kam ihre Schwester nicht und schaute nach ihr? Sie fing an zu weinen. Erst als die Mädchen aus dem Tagesraum stürmten und lärmten, wischte sie sich die Tränen ab.
    Die Kommission aus Wien, die das KLV-Lager Maria Quell überprüfen sollte, traf schon am nächsten Morgen ein und damit einen Tag früher als erwartet. Ein älterer, schnauzbärtiger Genosse von der Gauleitung aus Wien stellte sich als Kurt Ballnigel vor. Er war der Einzige, der die braune Parteiuniform trug. Die Namen der anderen Mitglieder der Kommission wurden kurz genannt: Parteigenosse Manatschek, Frau Mensing, Frau Luschnigg und Frau Minwald. Sie sagten wenig, wollten allerdings von Direktor Aumann sofort durch das Gebäude geführt werden. »Durch alle Räume«, befahl Kurt Ballnigel. Das Mittagessen wurde ihnen auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin in einem kleinen Raum neben dem Speisesaal serviert. Selbst den Direktor forderten sie auf, den Raum zu verlassen. Sie hätten intern einige Dinge zu besprechen. Nur die Lagermädelführerin baten sie für eine Viertelstunde herein. Dann blieben sie wieder unter sich. Als sich herausstellte, dass die Kommission nicht die Absicht hatte, am Spätnachmittag nach Wien zurückzufahren, lud der Direktor sie nach dem Abendessen auf ein Glas Wein in das Sprechzimmer ein. Aber Ballnigel und seine Leute verabschiedeten sich bereits nach kurzer Zeit mit der Ankündigung, dass am nächsten Morgen das Tannenhaus überprüft werden solle. Am Nachmittag sei dann die Schlusskonferenz angesetzt, bei der alle Lehrpersonen anwesend zu sein hätten, auch die, die nicht im Haus wohnten. Abschließend seien noch einige Einzelgespräche zu führen.
    Direktor Aumann rief das Kollegium trotz der vorgerückten Stunde in sein Büro und teilte allen mit, was ihnen wahrscheinlich bevorstand. Ausdrücklich wies er Frau Krase vom Tannenhaus an, die kleine Zarski und auch Esther Salm nicht zu erwähnen. Frau Krase beruhigte ihn mit dem Hinweis, dass sie die beiden gleich in der Frühe ins Dorf in die Schule schicken werde. Die Salm werde der Zarski den Weg zeigen.
    Der Direktor entließ das Kollegium bis auf Dr. Scholten und Frau Lötsche und beriet mit beiden, wie sie sich während der Konferenz verhalten sollten. Schließlich sagte er: »Also, wir lassen die Leute reden und werden ihre Fragen nur kurz beantworten. Dr. Scholten kann einen Überblick über den Unterricht und den Stundenplan geben. Sie, Frau Lötsche, übernehmen das Thema der nationalsozialistischen Erziehung unserer Mädchen. Erwähnen Sie auf jeden Fall die Feierstunde, die wir für den 9. November vorbereitet haben, und wie wir versuchen werden, den Schülerinnen zu vermitteln, dass viele Helden unserer jungen Nation 1923 beim Marsch auf die Feldherrnhalle in München grausam niedergeschossen worden sind.«
    »Ja, das werde ich machen, Herr Direktor. Ich werde auch darauf hinweisen, dass unser Chor unter Leitung des Kollegen Dr. Scholten die festliche Stunde mit vaterländischen Liedern bereichern wird.«
    Wenn sie auch durch und durch linientreu ist, dachte Dr. Scholten, kollegial ist sie ja doch.
    Der Direktor stand auf. »Lassen wir es also auf uns zukommen.« Er öffnete die Türen, hob den Arm und rief: »Heil Hitler.« Die Lehrerin und der Lehrer erwiderten den Gruß. Das war laut genug, dachte Direktor Aumann. Die
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