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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen
Autoren: Willi Fährmann
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seinen dunklen Holzdecken und vertäfelten Wänden kam Ruth düster und unheimlich vor. Käthe Malik brachte sie in den Tagesraum. Dort waren auch die anderen Mädchen aus der Unterklasse. Sie saßen an den Tischen, machten ihre Hausaufgaben, schrieben Briefe, lasen oder spielten miteinander. Einige sahen kurz auf, als Käthe Malik mit dem fremden Mädchen hereinkam.
    »Hört mal her«, rief die LMF. »Ich bringe euch eine Neue.« Sie wandte sich an Ruth. »Sag den Mädchen deinen Namen.«
    »Ich heiße Ruth.«
    »Weiter! Ruth …«
    Sie stockte und sagte schließlich: »Ruth Erika Gesine Zarski.«
    Einige Mädchen lachten. »Wie ’ne Prinzessin«, rief eine vom hinteren Tisch.
    »Was soll das?«, fragte Frau Malik.
    »Na, Prinzessinnen haben auch meistens mehrere Vornamen.«
    Frau Malik sagte: »Ruth kommt wie ihr aus Oberhausen. Im Ruhrgebiet gibt es außer euch keine Prinzessinnen.« Sie mahnte die Mädchen: »Nehmt Ruth freundschaftlich auf. Sie schläft in Stube 8.«
    Die Mädchen am Tisch beim Fenster murmelten unwillig. »Muss das sein? … Bei uns ist kein Bett mehr frei … Sowieso viel zu eng.«
    »Ihr seid hier nicht im Paradies.« Die Stimme von Frau Malik klang ein wenig schrill. »Ein Bett wird dazugestellt. Ich erwarte von euch, dass ihr euch kameradschaftlich verhaltet.«
    Zwei Lehrerinnen saßen in einer Fensternische. Sie waren dabei, Klassenarbeiten zu korrigieren. »Ruhe bitte«, rief die eine. »Silentium heißt Ruhe.«
    Frau Malik sprach sie an: »Frau Krase, die Lötsche wartet im Büro und will Sie sprechen.«
    Die Lehrerin blickte auf. »Sie meinen sicher Frau Lötsche.«
    Der Lagermädelführerin schoss die Röte ins Gesicht. »Ganz recht, Frau Lötsche.« Sie drehte sich abrupt um und verließ mit Ruth den Raum. »Dumme Kuh«, sagte sie leise.
    »Warum müssen die Mädchen still sein?«, fragte Ruth.
    »Nach der Mittagspause wird für die Schule gearbeitet. Dann schweigen alle neunzig Minuten lang. Silentium …«
    »Ach ja. Das heißt, dann herrscht Ruhe«, ergänzte Ruth.
    Im Wirtschaftsraum wies Frau Malik zwei Männer an, die dort an einem Tisch saßen, ein zusätzliches Bett in Stube 8 aufzustellen. Es dauerte eine Weile, bis die beiden verstanden hatten, was sie tun sollten.
    »Den Koffer dort nehmt ihr auch mit. Und zwar sofort. Hopphopp.«
    Die Männer standen träge auf und verließen den Raum.
    »Das sind Franzosen«, sagte Frau Malik. »Kriegsgefangene. Die hatten mich schon längst verstanden. Aber sie stellen sich erst mal dumm.«
    Eine Frau kam herein. Alles an ihr war dick und rund. Ihre Haare hatte sie zu einem großen Knoten mitten auf dem Kopf zusammengesteckt. Sie trug eine grellrote Kittelschürze, die sich über ihrem schweren Leib spannte. Aus schmalen Augenschlitzen blickte sie kurz auf das Kind.
    »Frau Hirzel, das ist Ruth Zarski. Sie muss hier untergebracht werden.«
    Frau Hirzel brummte vor sich hin, ging zu einem großen Wandschrank, nahm ein weißes Betttuch und einen blau-weiß karierten Bettbezug heraus und warf alles auf den Tisch.
    »Sonst noch was, Frau Führerin?«, fragte sie unwirsch.
    Frau Malik antwortete nicht. Sie legte sich die Wäsche über den Arm. »Komm, Ruth, ich zeig dir die Stube.«
    Die Franzosen trugen ein schmales Bettgestell die Treppe hinauf. Frau Malik und Ruth folgten ihnen. In Stube 8 wurden die Möbel eng zusammengerückt und Ruths Bett wurde an der Wand unter dem Fenster aufgestellt.
    »Matratze auch?«, fragte der ältere.
    »Soll das Kind etwa auf den Brettern schlafen?«
    Die Männer ließen sich Zeit und Ruth begann, ihre Sachen in ein Spind einzuräumen. Mehrmals rückte Frau Malik Ruths Wäsche so zurecht, dass der Stapel wie abgezirkelt lag, Kante genau auf Kante.
    »Achte darauf, dass das immer so ist«, sagte sie. »Hier wird Ordnung gehalten. Im Spind genauso wie bei euch Schülerinnen. Jeden Morgen nach dem Flaggenappell wird der Spind überprüft. Was nicht in Reih und Glied liegt, wird aufs Bett geworfen und muss neu eingeräumt werden. Mach’s von Anfang an, wie es sein soll. Dann ersparst du dir viel Ärger.«
    Einer der Männer trug einen großen Sack, vollgestopft mit Stroh, herein. Frau Malik drückte ihn in dem Bettgestell zurecht und fuhr mit dem Handrücken darüber. »Haferstroh, Ruth. Du hast Glück gehabt. Das pikt nicht so wie Gerstenstroh.«
    »Das soll die Matratze sein?«, fragte Ruth verwundert.
    »Hast du Schlaraffia-Matratzen erwartet? Du wirst schon merken, man schläft gut auf dem Strohsack. Du
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