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So weit die Hoffnung trägt - Roman

So weit die Hoffnung trägt - Roman

Titel: So weit die Hoffnung trägt - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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erlegen und bei lebendigem Leib fressen. Diese Dinge wurden auch von Gott erschaffen.«
    »Du wirst wohl nicht zu vielen Partys eingeladen, oder?«
    Er ignorierte mich. »Was ist das denn für ein Gott, der wunderschöne Sonnenuntergänge erschafft und dann die Erde darunter mit Blut tränkt? Wenn du mich fragst, Gott ist ein absoluter Sadist. Er ist wie ein Kind, das rote und schwarze Ameisen zusammen in ein Glas wirft, nur um zuzusehen, wie sie miteinander kämpfen. Ich glaube, diese Erde ist für Gott nicht mehr als ein großer Hahnenkampf.«
    »Das ist so ungefähr die düsterste Vorstellung von Gott, die ich je gehört habe«, sagte ich.
    »Willkommen in der Wirklichkeit, Kumpel«, sagte er. »Die Leute laufen durch die Gegend und sagen, Gott ist gut und gerecht, aber dann erklär mir das: Wie kann Gott gerecht sein, wenn er laut fast jeder Religion die Sünder zu ewiger Verdammnis verurteilt für etwas, das in einem begrenzten Zeitraum geschieht? Das ist keine angemessene Reaktion. Es ist nicht gerecht, und es ist mit Sicherheit nicht gut.«
    Ich hatte keine Antwort für ihn.
    »Sieh es einmal so. Sagen wir, ein Junge geht in einen Laden, wo er einen Schokoriegel sieht. Er hat kein Geld, aber er will unbedingt diesen Schokoriegel haben. Und als er glaubt, dass niemand hinsieht, da nimmt er ihn sich einfach. Er hat gegen das Gesetz verstoßen. Natürlich sollte er ihn bezahlen – das bestreite ich nicht. Aber was dieser arme Junge nicht weiß, ist, dass der Ladenbesitzer überall Kameras hatund den ganzen Tag nichts anderes tut, als in seinem Büro zu sitzen und darauf zu warten, dass er jemanden erwischt. Und dann zerrt der Besitzer den Jungen nach draußen, hinter den Laden, übergießt ihn mit Benzin und zündet ihn an. Das ist deine ewige Verdammnis. Das ist dein Gott. Das ist deine Religion.«
    »Das ist nicht meine Religion«, sagte ich. »Ich glaube nicht an einen Gott, der uns erschaffen hat, um uns zu verdammen. Ich glaube nicht, dass Gott der Inbegriff der Angst ist.«
    »Jede Religion lehrt, dass Gott die Angst verkörpert«, sagte Israel. »Und dann verkleiden sie ihn als den Guten Hirten. Einen Wolf im Hirtengewand.«
    »Manchmal arbeiten gute Eltern mit Angst«, sagte ich. »Um ihre Kinder zu schützen. Zum Beispiel die Mutter, die ihrem Kind sagt, dass es nicht auf der Straße spielen soll, weil es von einem Auto überfahren werden könnte.«
    »Der Unterschied«, sagte Israel, »ist der, dass Gott am Steuer dieses Wagens sitzt.«
    Ich nickte. »Da hast du recht. Das ist der Unterschied. Man glaubt entweder an einen Gott der Gnade und Liebe oder an einen Gott der Verdammnis und Verurteilung, aber man kann nicht an beide glauben, da er nicht dasselbe Wesen sein kann.«
    »Es gibt keinen Gott der Gnade«, sagte Israel. »Das solltest du wissen. Er hat deine Frau getötet.«
    »Er hat meine Frau nicht getötet. Das war ein Pferd.«
    »Er hätte verhindern können, dass sie stirbt.«
    »Du meinst, er hätte aufschieben können, dass sie stirbt. Schließlich stirbt alles auf dieser Welt irgendwann einmal. Alles. Deswegen bauen die Leute auf Gott für die nächste Welt.«
    Israel sah mich düster an.
    »Sieh mal«, sagte ich. »Mir ist es egal, was du über Gott denkst. Ich bin mir nicht einmal sicher, was ich selbst glaube. Aber die Wahrheit ist, weitaus klügere Leute als wir haben seit Jahrtausenden über diese Frage diskutiert und sind sich noch immer nicht einig.
    Und was den Punkt betrifft, ob die Welt gerecht oder gut ist, verblüfft mich nicht so sehr die Frage, warum schlimme Dinge passieren. In einer Welt wie dieser würde ich das erwarten. Was ich nicht verstehen kann, ist vielmehr, warum gute Dinge passieren. Warum gibt es Liebe? Warum gibt es Schönheit? Warum habe ich meine Frau so sehr geliebt? Und warum hat sie mich geliebt? Das ist doch das eigentlich Verblüffende. Das ist es, was ich mir nicht erklären kann.«
    Israel erwiderte nichts, sondern ging nur mit gesenktem Kopf weiter. Eine Minute später blieb er auf einmal stehen. »Ich habe dich lange genug belästigt.«
    Ich blieb ebenfalls stehen. »Überhaupt nicht«, sagte ich. »Es war nett, mit dir zu reden. Gute Reise. Und viel Glück mit deinem Buch. Wenn ich es je in einem Laden sehe, werde ich ein, zwei Exemplare kaufen.«
    »Danke«, sagte er. »Ich hoffe, du schaffst es nach Key West.« Er gab mir die Hand, dann nahm er den Rucksack von den Schultern und setzte sich mit seinem Schild an den Straßenrand. Ich ging einfach
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