Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So weit die Hoffnung trägt - Roman

So weit die Hoffnung trägt - Roman

Titel: So weit die Hoffnung trägt - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
fragte Kapitän Steve etwas, was ich immer schon wissen wollte: Warum waren die Schornsteine des Schiffs oben geriffelt?
    »Hauptsächlich aus Tradition«, erwiderte er. »Aber zu Twains Zeiten half die Riffelung zu verhindern, dass die Glut aus dem Schiffsofen den Passagieren auf die Köpfe regnete.«
    Zufrieden mit dieser Antwort ging ich zurück zum Bug des Schiffs und trank eine Cola.
    Auf dem Weg zurück zum Ufer betätigte der Kapitän dreimal die gewaltige Dampfpfeife des Schiffs, bevor er wieder am Kai anlegte. Ich bedankte mich bei Kapitän Steve und ging von Bord, dann kehrte ich zurück zur Main Street, aß im Ole Planters Restaurant zu Mittag und schlenderte zurück zu meinem Hotel, wobei ich mir unterwegs ein paar Schaufenster ansah.
    Zwei Blocks von meinem Hotel entfernt kam ich an einem Büro mit einem Schild im Fenster vorbei, auf dem stand:
    HANNIBAL-GEISTERTOUREN
    Ich ging hinein, um mir den Laden anzusehen. Niemand war darin, aber man konnte sich für die Tour dieses Abends in eine Liste eintragen. Ich setzte meinen Namen auf die Liste.
    In Hannibal spukt es so ziemlich überall, und jeder in der Stadt hatte eine Geistergeschichte auf Lager, die er unbedingt erzählen wollte. Die erste Geistergeschichte hatte ich an diesem Morgen beim Frühstück gehört, von meiner Bedienung. Der Mieter einer Wohnung neben dem Java Jive beklagte sich immer wieder über die unheimliche Orgelmusik, die ihn jeden Morgen um drei Uhr weckte. Er weigerte sich zu glauben, dass die Geschäftsführung des Cafés keine Schuld traf, obwohl das Café keine Orgel hatte und um Mitternacht zumachte.
    Selbst in der öffentlichen Bibliothek gab es Geschichten von einem besonders pingeligen Geist, der nach dem Ende der Öffnungszeit Bücher auf den Boden warf, die falsch zurückgestellt worden waren.
    Als ich nach einem Nickerchen im Hotel aufwachte, war mir wieder ein bisschen schwindelig, aber es ging bald vorbei. Ich aß in demselben Diner zu Abend wie schon am Tag zuvor, dann ging ich die zwei Blocks hinunter zu dem Laden, bei dem ich mich für die Geistertour angemeldet hatte.
    Ein langer, grauer Kleinbus stand vor dem Büro im Leerlauf und eine kleine Gruppe von Leuten auf dem Gehsteig. Ich betrat das Büro. Eine hochgewachsene, freundlich aussehende Frau mit langen, aschblonden Haaren stand mit einem Klemmbrett in der Hand neben dem Tresen.
    »Ich wollte zu der Geistertour«, sagte ich.
    »Dann sind Sie hier richtig«, sagte sie, während sie mit einem Stift vor mir herumwedelte. »Sie müssen Mr. Christoffersen sein.«
    »Der bin ich«, sagte ich.
    Sie hakte mich auf der Liste auf ihrem Klemmbrett ab. »Ich bin Doreen. Sie sind allein, richtig?«
    Ich spürte es schmerzlich. »Richtig.«
    »Gehen Sie einfach schon vor, und suchen Sie sich in dem Kleinbus draußen einen Platz.«
    Ich ging wieder hinaus. Die Gruppe, an der ich eben vorbeigekommen war, saß jetzt in dem Kleinbus. Die Bustür stand weit offen.
    Wir waren zu fünft in der Gruppe: ein junges Paar, das, nach den verträumten Mienen der beiden zu urteilen, auf Hochzeitsreise sein musste und die halbe vordere Bank in Beschlag genommen hatte, und zwei Damen Mitte fünfzig, die in der mittleren Reihe saßen.
    Der Fahrer war ein dünner Mann in den Dreißigern mit einem Bartschatten. Obwohl es bereits dunkel wurde, trug er eine Ray-Ban-Fliegerbrille, mit der er ein bisschen wie Richard Petty aussah, der ehemalige NASCAR -Champion. Er hatte den Kopf über sein Handy gebeugt, auf dem er offenbar irgendein Spiel laufen ließ.
    »Guten Abend«, sagte ich, als ich in das Fahrzeug stieg. Nur die Damen erwiderten meinen Gruß. Der Fahrer war auf sein Handy fixiert, und das Paar war noch immer aufeinander fixiert, völlig achtlos gegenüber allem anderen Leben auf dem Planeten. Ich zwängte mich nach hinten durch zur Rückbank des Busses.
    Ein paar Minuten später steckte Doreen den Kopf durch das vordere Beifahrerfenster. »Wir warten noch auf eine Person.«
    Der Fahrer knurrte und kratzte sich das Gesicht, ohne aufzusehen. Etwa zwei Minuten später war Doreen wieder da. Sie stand neben einem älteren Herrn, der eine Schiebermütze und einen grauen Pullover trug und an einem schwarzen Gehstock mit Metallspitze ging.
    »So, Mr. Lewis«, sagte Doreen. »Ich nehme Ihren Stock. Passen Sie auf, dass Sie nicht stolpern.«
    Mr. Lewis war vermutlich Mitte bis Ende achtzig, grau und gebeugt vom Alter. Mühsam stieg er zur vordersten Reihe hoch und setzte sich neben die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher