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So weit die Hoffnung trägt - Roman

So weit die Hoffnung trägt - Roman

Titel: So weit die Hoffnung trägt - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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wartet ein Job auf mich.«
    »Was machst du?«
    »Ich bin Dachdecker.«
    »Das ist aber ein weiter Weg für ein Haus.«
    Er zuckte die Schultern. »Das mache ich eben – ich bin auf der Straße, seit ich siebzehn war.«
    »Du bist zu Fuß unterwegs, seit du siebzehn warst?«
    »Nein, ich gehe nicht zu Fuß. Ich bin ein Tramp.«
    »Tramps gehen nicht zu Fuß?«
    »Nicht, wenn wir es vermeiden können. Aber es ist ein schöner Tag. Ich würde gern ein Stück mit dir gehen, wenn du nichts dagegen hast.«
    »Habe ich nicht«, sagte ich.
    Er befestigte das Schild an seinem Rucksack, dann schulterte er ihn und kam auf mich zu. Der Seitenstreifen war so breit, dass wir gefahrlos nebeneinanderher gehen konnten.
    »Wie heißt du?«, fragte er.
    »Alan. Und du?«
    »Israel. Israel Campbell.«
    »Und du bist ein Tramp?«
    »Ja. Für die normalen Leute sehen die meisten Obdachlosen gleich aus, aber das sind wir nicht.« Er hielt eine Hand vor sich hoch, streckte den Zeigefinger aus. »Da gibt es erstens einmal die Bergtypen – sie sind leicht zu erkennen. Sie sehen aus, als wären sie eben erst aus einer Höhle gekrochen oder so. Die haben im Allgemeinen viel Gesichtsbehaarung und wagen sich nur an die Öffentlichkeit, wenn sie irgendetwas unbedingt brauchen, und verschwinden dann wieder, so schnell sie können.«
    Er streckte einen zweiten Finger aus. »Dann gibt es die Verrückten. Ich meine nicht verrückt im Sinn von Serienkillern, aber ein bisschen daneben, weißt du? Die mit sichselbst hadern. Man kann sehen, dass der Aufzug nicht ganz bis nach oben fährt.«
    Ich nickte. »Solche Leute habe ich gesehen«, sagte ich.
    Er streckte einen dritten Finger aus. »Und dann gibt es die Penner.«
    »Penner und Tramps sind nicht dasselbe?«
    »Nein. Die Penner bringen uns Tramps in Verruf.«
    »Wieso das denn?«
    »Penner schnorren viel – man sieht sie auf den Highway-Auffahrten mit Pappschildern, auf denen sie um Geld betteln. Wir Tramps betteln nicht, es sei denn, wir müssen. Tramps arbeiten. Das ist für uns eine Frage des Stolzes. Wir haben nur kein Zuhause oder Fahrzeug, deshalb trampen wir.
    Und Penner fahren oft mit dem Zug. Das tue ich auch manchmal, aber nur, wenn ich irgendwo festsitze. Bei den Zügen gibt es Tricks. Ich habe mir überlegt, ob ich lernen soll, wie das geht.«
    »Tricks? Was denn zum Beispiel?«
    »Bis jetzt weiß ich nur, dass es die Triebwagen sind, die Waggons ganz hinten, die man nehmen muss. Dort gibt es Wasser in Flaschen, Kühlschränke und eine Toilette.«
    »Und dort hinten fährt niemand mit?«
    »Normalerweise nicht. Aber selbst wenn dort jemand ist, werfen sie einen nicht unbedingt raus. Einmal hat mich ein Typ mit meinem Hund dort bleiben lassen.«
    »Du hast einen Hund?«
    »Ich hatte einen«, beeilte er sich zu sagen, als wollte er nicht darüber reden. »Die Sache ist die, es ist ihnen eigentlich egal. Dass jemand im Zug mitfährt, kratzt sie nicht, aber sie müssen so tun, als ob es ihnen nicht egal ist. Weißt du, was ich meine?«
    Ich nickte.
    »Am wichtigsten ist es, sich von den Bullen fernzuhalten. Das ist die Bahnpolizei. Die meisten von denen sind faul und machen sich nicht die Mühe, die Güterwaggons zu durchsuchen, aber wenn sie dich sehen, kriegst du Ärger. Aber wie ich schon sagte, das betrifft hauptsächlich die Penner. Nicht dass ich Penner hasse oder so. Ich komme mit jedem gut aus, der auf der Straße ist. Viele Obdachlose wollen dich nicht in ihrer Nähe haben, weil sie niemandem vertrauen, aber ich bin da nicht so. Ich versuche, anderen Geld zu geben, wenn ich welches habe, und ich frage sie immer, ob es ihnen gut geht. Neulich habe ich zwei Dollar unter einer Brücke gelassen, mit einem Zettel, auf dem stand: ›Trink ein Bier auf mich. Wenn du das hier nicht wirklich brauchst, dann lass es für den nächsten Typen liegen, der es braucht.‹«
    »Und wie fängt man an, ein Tramp zu sein?«, fragte ich.
    Er rieb sich das Kinn. »Gute Frage. In meinem Fall ist es einfach irgendwie passiert. Es war nicht so, dass ich beim Berufsberatungstag in der Schule war und gesagt habe: ›Ich glaube, ich will Tramp werden.‹ Es ist einfach irgendwie über mich gekommen. Ich hatte eine beschissene Familie, und als ich siebzehn war, hat mich ein Freund angerufen und gesagt, er hätte einen Job für mich im nächsten Bundesstaat. Ich hatte kein Auto, also bin ich dorthin getrampt. Als ich mit dem Job fertig war, rief jemand anders mit einem Job an, also bin ich wieder getrampt.
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