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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah
Autoren: Marleen Reichenberg
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bei Lucas gelandet waren: Er erfüllte viele Kriterien exakt, aber unter
den Personen, die ihm wichtig waren, rangierte ich vermutlich inzwischen ganz
weit hinten auf der Liste oder war bereits gänzlich herausgefallen.
     
     
    Intensiv
studierte ich die Speisekarte dieses Edel-Gourmet-Tempels, in welchen mich
Clemens Brauer verschleppt hatte. Heilfroh darüber, dass ich mich in meinem
kleinen, aber züchtig bis zu den Knien reichenden schwarzen Kleid passend
angezogen hatte, schielte ich zu meinem Tischherrn hinüber, der mit heiligem
Ernst seinerseits in der Karte blätterte und mich dann mit forschendem Blick
musterte.
    »Ich denke,
ich habe meine Wahl getroffen. Sind Sie auch soweit, dass wir bes-tellen
können?«
    War ich
eigentlich noch nicht, da auf dieser Karte alles derart verschnörkelt mit
französisch klingenden Namen beschrieben wurde, dass ich bei manchen Gerichten
glatt ein Wörterbuch benötigt hätte, um heraus zu bekommen, worum es sich hier
handelte. Mein Schulfranzösisch reichte hierfür leider nicht aus. Die Preise
waren extrem gesalzen. An den Gerichten, die an uns aus der Küche vorbei getragen
wurden, erkannte ich das hiesige Credo: Wenig auf den Tellern, alles auf der Rechnung.
Unser Kellner - ja, es war in dieser Preisklasse wohl üblich, dass jeder Tisch
seinen eigenen Butler hatte - lauerte müßig hinter einer der filigranen
Stellwände, die die einzelnen Tische voneinander abtrennten und die Illusion
von Intimität aufrechterhielten, und beobachtete unablässig, ob wir ihm ein
Zeichen geben würden, dass er endlich unsere Bestellung aufnehmen konnte. Die
obligatorischen Brötchen, die es in guten Restaurants zur Einstimmung gab,
reichte er uns einzeln mit einer Silberzange, sodass man sich absolut gefräßig
vorkam, wenn er in hochmütigem Ton fragte, ob man noch ein zweites Brötchen
wollte.
    Um dem armen,
unterbeschäftigten Menschen ein Erfolgserlebnis zu vermitteln, nickte ich. Ich würde
das Gericht mit Roastbeef (für dieses Wort gab es wohl im Französischen keinen
passenden Ausdruck) nehmen. Da konnte ich nichts falsch machen. Und als
Vorspeise einen Salat.
    Clemens
Brauer erklärte mir mit heiligem Ernst, dass der Mango-Spinat-Salat mit
Orangendressing  als Vorspeise hier göttlich und sehr zu empfehlen sei. Spinat!
Den hatte ich schon als Kind gehasst. Prompt entfuhr mir:
    »Spinat
schmeckt am besten, wenn man ihn kurz vor dem Verzehr durch ein großes Steak
ersetzt!«
    Als ich das
konsternierte Gesicht meines Tischherrn sah, trat ich arglos in den zweiten
Fettnapf.
    »Oder sind
Sie etwa Vegetarier und essen den Tieren ihr Futter weg?«
    Seine blauen
Augen blickten jetzt so kühl, dass ich allein vom Hinsehen fror.
    »Ja, ich bin
Vegetarier, schon seit einigen Jahren. Ich bin der Ansicht, Fleisch schadet dem
Körper und die Massentierhaltung ist für die Klimaerwärmung schädlich! Ich
trinke auch keinen Alkohol.«
    Ich wünschte
mir schlagartig, mich sofort von hier wegbeamen zu können und versuchte, zu
retten, was zu retten war, obwohl mein Engelchen natürlich dazwischenfunkte,
die Augen verdrehte und Was für ein Langweiler! zischte.
    »Oh, dann
entschuldige ich mich für meine unangemessenen Bemerkungen. Ich esse eigentlich
fast alles und habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob Nahrungsmittel mir
oder meiner Umwelt schaden.«
    Mit einem
gnädigen Nicken nahm er meine Entschuldigung an und strafte mich für meine
unqualifizierten Äußerungen dadurch ab, dass er mir die kommenden zwanzig
Minuten eindringlich schilderte, was die Klimaerwärmung alles anrichten würde,
wenn man nicht sofort drastische Rettungsmaßnahmen ergriff.
    Ich hörte ihm
schweigend - er hätte mich bei seinem leidenschaftlichen Monolog ohnehin nicht
zu Wort kommen lassen - und wie ich hoffte, interessiert wirkend zu. Jetzt
wurde mir auch klar, dass er mich nicht, wie ich irrtümlich vermutete, deswegen
im Taxi abgeholt hatte, um selbst Alkohol trinken zu können. Nein, als
überzeugter Umweltschützer durfte man kein Auto besitzen. Ich machte mir eine
geistige Notiz, ihm ja nichts über meinen fahrbaren Untersatz zu erzählen.
    Als mit seinen
apokalyptischen Schilderungen am Ende angelangt war, ließ er den Kellner an
unseren Tisch kommen und nahm meine trotzige Bestellung des Roastbeefs
kommentarlos zur Kenntnis.
    Wahrscheinlich
hielt er mich für eine unsensible, unbelehrbare Tusse, die durch ihren
wahllosen Konsum aller Nahrungsmittel schon so vorgeschädigt war, dass sie
logische
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