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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah
Autoren: Marleen Reichenberg
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Haltung
ausgelöst worden wäre. Aber eine wunderbare Kollegin von Dir, die noch in
dieser Nacht auf die Entbindungsstation kam, konnte sie in mehreren Gesprächen
überzeugen, dass das Kind einfach nicht lebensfähig war und Lisa darauf
überhaupt keinen Einfluss gehabt hat.
    Drei Wochen
später fing Lisa wieder an zu arbeiten und eine Woche danach haben Lucas und
sie sich in aller Freundschaft getrennt.
    Wortwörtlich
hat sie zu mir gesagt:
    »Mama, von dem
riesigen Berg, der einmal unsere Liebe dargestellt hat, sind nur noch ein paar
kleine Steine übrig. Das reicht nicht, um zusammen zu bleiben.«
    Lisa ist seit
gestern in New York. Sie absolviert dort ein dreimonatiges Austauschprogramm
für ihre Agentur.
    Sie hat mich
gebeten, Dir ganz liebe Grüße auszurichten und zu schreiben, dass sie Dir über
Deinen abrupten Weggang nicht mehr böse ist. (Den wahren Grund habe ich ihr selbstverständlich
nicht gesagt; Sie denkt immer noch, Du hattest wegen diesem fiktiven Kollegen
Liebeskummer.)
    Sie hat am
eigenen Leib erfahren, wie wichtig es sein kann, Abstand zu gewinnen und dass
dies bei einer räumlichen Veränderung leichter fällt.
    Von Lucas habe
ich seit ihrer Trennung nichts mehr gehört.
    Tessakind,
Armin und ich würden uns riesig freuen, von Dir zu hören (auch Lisa, Du kannst
sie auf ihrem Handy jederzeit anrufen, wenn Du möchtest) oder Dich bald wieder
zu sehen und wünschen Dir alles Liebe und Gute,
     
    Deine Elsa
     
     
    Ich ließ den
Brief sinken und heulte mittlerweile hemmungslos. Mit meinen Tränen floss die
Trauer um das ungeborene Kind, Mitleid mit Lisa und Lucas sowie die Sehnsucht
nach meinen Ersatzeltern aus mir heraus.
    Nach einer
gefühlten Ewigkeit blickte ich erschrocken auf meine Uhr und registrierte, dass
ich mich in zwei Minuten mit Katja und Mona treffen sollte. Ich war jetzt nicht
in der Stimmung für unbeschwerte Feierabendgespräche und rief Katja auf ihrem
Handy an. Sie hatte vollstes Verständnis, als sie von mir hörte, dass meine
beste Freundin in München eine Fehlgeburt gehabt hatte und ich davon so
erschüttert war, dass ich heute nicht kommen würde.
    Nach einer weitgehend
schlaflosen Nacht stand mein Entschluss fest: Ich würde Ende Oktober nach
München zurückkehren.
    Den Grund
meiner Flucht - Lisas und Lucas´Kind - gab es nicht mehr und Lucas wäre
ebenfalls nicht mehr in der Nähe.
    Die leise
Stimme meines Engelchens, die mir zuflüsterte, er wäre jetzt frei und ich könne
ihm ja "ganz zufällig"  über den Weg laufen, ignorierte ich
geflissentlich. Mit meiner dicken Lüge hatte ich mir jede Möglichkeit, auch nur
ansatzweise freundschaftlich mit ihm zu verkehren, komplett verbaut. Ich
verspürte keine Lust, mich erneut wie der letzte Dreck von ihm  behandeln zu
lassen. München war groß und hatte noch eine ganze Menge anderer Männer zu
bieten!
     

LIFE  IS  SO  PECULIAR
 
    Ende
September hatte ich alles für meine Rückkehr nach Bayern vorbereitet. Ich hatte
mit Clemens gesprochen und sein Angebot, in der Klinik weiterzuarbeiten,
dankend abgelehnt.
    »Ich habe
hier sehr viel über die therapeutischen Möglichkeiten von Angsterkrankungen
gelernt und möchte diese jetzt gerne in meiner Praxis als Freiberuflerin
anwenden.
    Hamburg ist
eine wunderschöne Stadt, aber ich sehne mich nach München zurück.«
    Verständnisheischend
blickte ich ihn an.
    Er nickte mit dem Kopf und  lächelte
mich tatsächlich verstehend an.
    »Ja, Tessa.
Wie ich dich kennengelernt habe, bist du mit Leib und Seele ein "Münchner
Kindl". Ich hätte dich gerne als fähiges Teammitglied bei uns begrüßt.
Aber ich wünsche dir alles Gute!«
     
    Erleichtert darüber, dass
dieses Gespräch so glimpflich ausgegangen war, lief ich beschwingt zurück zu
meinem Büro, um die Berge von Verwaltungskram, die sich auf meinem Schreibtisch
auftürmten, abzubauen.
    Ich formulierte für einen
meiner Patienten in Gedanken ein Schreiben an die private Krankenkasse, achtete
nicht auf den Weg und rannte prompt in jemanden hinein. Verdattert trat ich
einen Schritt zurück und erstarrte.
    Vor mir stand
der Traum meiner unzähligen schlaflosen Nächte! Und in seinen Augen blitzte der
gewohnte Schalk, als er mich anlächelte. Mir wurde heiß und kalt. Ich hatte
Lucas fast sechs Monate nicht gesehen und mir tatsächlich eingebildet, über ihn
hinweg zu sein.
    Die prompte Reaktion
meines Körpers zeigte mir, dass ich mit dieser Wahnvorstellung völlig falsch
gelegen hatte.
    Ich
verfluchte die Tatsache, mir
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