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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah
Autoren: Marleen Reichenberg
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Zukunft. Meine geplante
Partnersuche war bis jetzt auch noch im theoretischen Stadium hängen geblieben.
Wenn ich in Hamburg bleiben wollte, war es an der Zeit, mir eine eigene Wohnung
zu suchen. Marie würde Ende Oktober zurückkommen. Bis dahin musste ich Nägel
mit Köpfen gemacht haben.
    Eines Abends
kam ich verschwitzt von der Klinik nachhause. Ungewöhnlich für Norddeutschland
herrschte gerade eine Hitzewelle mit abendlichen Temperaturen von immer noch um
die achtundzwanzig Grad. Musste an der Klimaerwärmung liegen. Obwohl ich doch
gar nicht so oft Porsche fuhr!
    Jedenfalls
war der Plan, unter die kalte Dusche zu springen, mich umzuziehen und dann mit
zwei Kolleginnen im Hofbräuhaus (jawohl, das gab es in der Innenstadt) ein Bier
zu trinken. Ich nahm meine Post mit nach oben in die Wohnung und zog neugierig
einen weißen Briefumschlag mit fühlbar dickem Inhalt aus dem Stapel.
     
    Die
Absenderadresse sprang mir förmlich ins Gesicht. Post aus München von Elsa! Mein
Herz hielt einen Schlag inne. Ich hatte mich mit einer kurzen Karte für ihre
Geburtstagsgrüße bedankt und lediglich geschrieben, dass es mir gutginge und
ich viel Arbeit hätte. Mehr nicht, um sie nicht zu einer ausführlicheren
Berichterstattung zu ermutigen. Das hatte bis jetzt gut funktioniert. Zögernd
drehte ich den Brief in meinen Händen. Meine größte Angst war die, darin eine
Geburtsanzeige mit Foto der glücklichen Familie zu finden. Manche Kinder kamen
ja vor dem errechneten Termin zur Welt…Kurz erwog ich, den Brief einfach
ungeöffnet zu lassen und mich zuerst wie verabredet mit Katja und Mona zu
treffen.
    Aber die
Neugier war stärker. Entschlossen schlitzte ich das Kuvert mit dem Daumennagel
auf und zog zwei dicht mit Elsas klarer Handschrift beschriebene,
zusammengefaltete Seiten heraus. Gottseidank keine Geburtsanzeige!
    Ich faltete
die Blätter ungeduldig auseinander und überflog die ersten Zeilen. Da stand:
     
    Meine
liebe Tessa,
     
    Schon die
liebevolle Anrede trieb mir unvermittelt die Tränen in die Augen.
    Ich
schluckte, wischte mir mit dem bloßen Arm die Tränen ab und las weiter. Schon
nach wenigen Zeilen sank ich auf die bequeme Ledercouch im Wohnzimmer.
     
    ich hatte Dir
versprochen - und dieses Versprechen bis jetzt auch gehalten - alles was Lisa
und Lucas betrifft, von Dir fernzuhalten.
    Aber dieses
Versprechen kann ich nun nicht mehr einhalten. In den letzten Monaten haben
sich die Ereignisse überschlagen. Lisa und Lucas sind nicht mehr zusammen.
     
    Mein Herz
machte einen Satz: Was war passiert?
     
    Lisa hat
bereits im Juni eine Fehlgeburt erlitten.
     
    Mein Gott,
die Arme! Und ich Feigling war geflüchtet und hatte ihr nicht einmal eine
Möglichkeit gegeben, sich mit mir in Verbindung zu setzen!  Erst jetzt kam mir
der Gedanke, wie egoistisch und hart ich mit meinem überstürzten Abgang aus
München gehandelt hatte.
    Ich schluckte
und las weiter:
     
    Weißt Du,
Tessa, das Schlimme daran war, dass sie ihre Schwangerschaft mit sehr
zwiespältigen Gefühlen betrachtet hat. Einen Tag hat sie sich auf das Baby
gefreut und schon am nächsten Tag war sie niedergeschlagen, deprimiert und
launisch und dies in ständigem Wechsel. Ich musste mich, wenn ich bei ihr war,
sehr beherrschen, um ihr nicht ordentlich die Meinung zu sagen. Lucas hat in
dieser Zeit eine Engelsgeduld mit ihr gehabt und ich habe ihn dafür aufrichtig
bewundert. Er war der sprichwörtliche Fels in der Brandung.
     
    Oh ja, das
konnte er gut. Bei meinem Skiunfall war er ebenfalls der unerschütterliche Fels
gewesen, während  Paul sich als absolutes Weichei entpuppte.
     
    Er war immer
für sie da, hat ihr gut zugeredet und sie aufgemuntert. Aber dieses Leuchten,
dieses Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Gefühl, welches die beiden vor der
Schwangerschaft ausgestrahlt haben, das war verschwunden.
     
    Ach Elsa!
Genau das, was ich bei unserem letzten Abend zu dritt auch bemerkt hatte…
     
    Tessa, ich
denke, es war einfach noch zu früh für die beiden, nach so kurzer Zeit des
Zusammenseins bereits Eltern zu werden.
    Jedenfalls
bekam Lisa eines Nachts starke Blutungen, Lucas war glücklicherweise bei ihr
und rief den Notarzt. Als sie in der Klinik ankamen, war bereits alles vorüber.
Sie hat das Baby verloren.
     
    Mir liefen
bei dieser Schilderung die Tränen übers Gesicht.
     
    Lisa hat in
den darauffolgenden Tagen sehr um das Kind getrauert und sich entsetzliche
Vorwürfe gemacht, dass die Fehlgeburt durch ihre teilweise ablehnende
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