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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah
Autoren: Marleen Reichenberg
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der Versicherung, dass ich mir sehr gut vorstellen
konnte, in den nächsten Monaten hier zu leben, erklärte sie mir:
    »Die Möbel
habe ich von meiner Tante geerbt. Die hat lange Jahre drüben in USA gelebt und
als sie im Alter hierher zurückkehrte, hat sie aus Sentimentalität ihre gesamte
Einrichtung in einem Container nach Deutschland verschiffen lassen.«
    Sie führte
mich durch die gesamte Wohnung, erklärte alles, zeigte mir, wo die
Bedienungsanleitungen für die elektrischen Geräte abgeheftet waren und sagte
mir, wo in der Nähe ich Bäcker, Metzger und Lebensmittelgeschäfte finden würde.
Ich erfuhr zu meiner Freude auch, dass man von hier aus sehr schnell an die
Alster und in den Stadtpark kam - da konnte ich meinem Hang zu
Frischluftmärschen ausleben - und der Weg zu meinem künftigen Arbeitsplatz
innerhalb von zehn Minuten bequem zu Fuß zu erreichen war.
    Wenig später
liefen wir zusammen diese Strecke, da sie mir die Klinik und ihr Büro zeigen
und mich ihren Kollegen vorstellen wollte.
    Auch meine
neue Arbeitsstelle präsentierte sich von der besten Seite. Die Klinik lag in
einem wunderschönen frühlingsgrünen Park - wobei mir auffiel, dass besagter
Frühling in München schon wesentlich weiter fortgeschritten war -  und ich
konnte Maries Büro im ersten Stock übernehmen.
    »Da wirst du
aber nur sitzen, wenn du Erstgespräche führst oder Verwaltungskram machst,«
warnte sie mich. »Meistens bist du mit den Patienten unterwegs, um
Konfrontationstherapie zu machen. Ich war schon an den interessantesten Orten,
arbeite mit vielen Organisationen oder Vereinen zusammen. So zum Beispiel, wenn
jemand extreme Angst vor Hunden hat. Da gibt es hier eine Hundeschule, zu der
man dann mit den Patienten hingeht.. Oder bei einer Schlangenphobie habe ich
mit meinem Patienten - natürlich erst am Ende der Behandlung - eine Zooführung
mitgemacht, bei der man im Schlangengehege unter Aufsicht eines Tierpflegers
eine Schlange anfassen und um den Hals legen konnte. Bei Flugangst benutzen wir
nach Absprache den Flugsimulator auf dem Flughafen, bevor es an einen echten
Inlandflug geht.«
    Ich war
wirklich gespannt auf all die Herausforderungen, denen ich hier begegnen würde.
    In ihrer
Wohnung standen bereits vier vollgepackte Koffer und Reisetaschen und Marie war
in Gedanken schon halb auf dem Flughafen. Als ihr Freund Lars klingelte, um sie
abzuholen, umarmte sie mich spontan.
    »Tessa, ich wünsche
dir alles Gute. Wir bleiben in losem Kontakt. Bei Fragen kannst du mich
jederzeit anrufen, sofern ich mich irgendwo befinde, wo ich Handyempfang habe.
Ansonsten wende dich an den Chef.«
    Diesen, einen
rotblonden, bärtigen Hünen namens Clemens Brauer, hatte ich heute schon kurz
kennengelernt. Er hatte mir mit hanseatischer Unterkühltheit die Hand
geschüttelt, aber dennoch einen sympathischen Eindruck auf mich gemacht.
Augenblicklich war ich um jeden Mann froh, der mich in Ruhe ließ, keine
Scherzchen machte und sich mir gegenüber neutral korrekt verhielt.
    Dr. Brauer
erfüllte diese Kriterien exakt.
     
    Nachdem ich
mich eingewöhnt hatte, verflogen die Tage rasch. Die Arbeit mit den Patienten
war anspruchsvoll. Ich musste mich in jeder Therapiestunde  auf völlig
unterschiedliche Persönlichkeiten einstellen, aber - wenn ich die oft nur
kleinen aber merklichen Fortschritte sah, die sie machten - befriedigte mich
die Hilfe, die ich ihnen geben konnte, sehr.
    In meiner
Freizeit walkte ich voller Power im nahen Stadtpark oder an der Alster entlang
- allerdings ohne diese Stöcke für die Arme, die aussahen, als mache man
Langlauf auf dem Trockenen und habe die Skier vergessen - oder traf mich mit Kollegen
abends auf einen Drink. Oft blieb ich auch einfach zuhause und las. An den
Wochenenden erkundete ich die nähere Umgebung, fuhr nach Lübeck, Rostock, Kiel
und Flensburg. Ansonsten ließ ich den Porsche in der Garage stehen.
Augenblicklich waren Frust-Musik-Fahrten unnötig, da mich niemand nervte.
    Im Juli
feierte ich meinen neunundzwanzigsten Geburtstag zusammen mit netten Kollegen
aus der Klinik in einem wunderschönen Gartenlokal an der Außenalster. Als ich
spätnachts in mein Bett kroch, dachte ich wehmütig an Lisa. Garantiert hatte
auch sie sich an meinen Geburtstag erinnert. Ich wusste nur nicht, ob im Bösen
oder im Guten.
    Elsa, die liebe,
hatte mir eine ganz süße Geburtstagskarte geschickt, die ich beim Heimkommen im
Briefkasten fand. Vorne drauf war eine strahlende dunkelhaarige Schönheit mit
einem
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