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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Autoren: Hanna Molden
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    Wettersturz!
    Angesichts der milden Herbsttage hatte Amelie mit dem plötzlichen Einsetzen von Sturm und Regen nicht gerechnet. Es goss in Strömen. Nicht vertikal, sondern horizontal. Das Wasser trommelte an das große Fenster ihrer Wohnung, im Hof bildeten sich kleine Seen zwischen den Steinen, die Tauben hockten mit eingezogenen Hälsen in den Mauernischen und hatten das Gurren eingestellt.
    Amelie verwünschte ihre Verabredung. Die Expertin für altes Spielzeug im weltberühmten Wiener Auktionshaus Dorotheum, Burgi Wechsler, hatte sie zu einem Gespräch gebeten, das Amelie aus geschäftlichen Überlegungen nicht verschieben wollte. Da das Dorotheum von Amelies Wohnhaus am schnellsten zu Fuß zu erreichen war, hieß das: laufen.
    Auch das noch! Missmutig kramte sie aus dem Kasten, was sie als ihr »Kanalräumer-Outfit« bezeichnete: Jeans, Gummistiefel, die bis ans Knie reichten, eine Öljacke, die sie für gewöhnlich beim Segeln im Salzkammergut trug, und einen tunlichst tief in die Stirn zu ziehenden Regenhut. In ihren Rucksack steckte sie für alle Fälle noch den brandroten Knirps.
    »Jessas, Fräu’n Lenz, wo woin S’ denn hi’ bei den Sauweda«, rief ihr die Hausmeisterin Josefine Zadrazil aus der Hofeinfahrt nach. Statt einer Antwort wedelte Amelie mit beiden Händen einen Gruß und hüpfte über den Rinnstein auf die Gasse.
    Schon das Überqueren der Baustelle auf der Lastenstraße gestaltete sich zu einem Abenteuer. Köcheltiefe Pfützen hatten sich gebildet, der Sturm hatte die hölzernen Absperrungen verweht und zu barrikadenartigen Hindernissen aufgetürmt. Laut schimpfend turnte Amelie darüber hinweg, erreichte die schützenden Arkaden neben dem Rathaus und atmete kurz durch. Als sie den Rathauspark ansteuerte, schlug ihr der Regen wieder voll ins Gesicht. Der Park war menschenleer, Blätter wirbelten durch die Luft, abgerissene Äste lagen auf den Wegen. Amelie erreichte die Ringstraße an einer für das Überqueren derselben nicht vorgesehenen Stelle, blinzelte aus halb zugekniffenem Auge in die Richtung der heranrollenden Verkehrslawine und rechnete sich aus, dass sie es mit ein paar kühnen Sprüngen noch schaffen würde. Sie sprang. Eine heftige Bö lupfte ihren Regenhut, wirbelte ihn hoch und trieb ihn dem nahenden Autostrom unter die Räder.
    »Mist«, schrie Amelie in den Wind und lief zum Volksgarten hinüber. Ihr schweres regennasses Haar hing ihr in die Augen und ließ Rinnsale ihren Nacken hinunterfließen. Im Schutz einer Seitenallee fischte sie den Knirps aus dem Rucksack und versuchte, ihn im Laufen zu öffnen, doch es misslang. Während sie immer noch den Schirm manipulierte, rannte sie auf das Parktor am Ballhausplatz zu. Zwischen Bundeskanzleramt und Hofburg schien der Sturm von allen Seiten zu kommen, Regenfahnen vernebelten die Sicht, keine Menschenseele war zu sehen. »Trampel! Keine Sau geht bei so einem Wetter vor die Tür«, ging Amelie zähneknirschend mit sich ins Gericht. Sie visierte den Durchgang zum Inneren Burghof an und setzte über ein von nassem Herbstlaub verstopftes Kanalgitter.
    In diesem Augenblick sprang der Knirps unerwaretet auf. Amelie erinnerte sich später genau, dass es dieser Augenblick war, weil sie ihn und die folgenden Momente wieder und wieder nachvollziehen würde.
    Wie ein Schild hielt sie den Schirm vors Gesicht und stemmte sich derart gegen den Sturm, dass ihr Körper eine schiefe Ebene bildete. Plötzlich kam eine der Böen von hinten, erfasste das heftig knatternde Schirmchen und drehte es um. In der nächsten Sekunde prallte Amelie mit voller Wucht gegen einen Menschen. Der Mensch umschlang sie mit beiden Armen, sagte »Hoppla« und hielt sie ein, zwei Atemzüge lang fest an seine Brust gedrückt. »Nicht behütet und schlecht beschirmt«, stellte er ruhig fest, und seine Stimme lachte.
    Der Mensch war ein Mann. Seine Brust war breit, und sein Kopf befand sich offenbar ein gutes Stück über dem von Amelie. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, weil der Mann damit beschäftigt war, den umgedrehten Schirm von oben her in Form zu drücken. Sie sah bloß den triefenden Saum eines hellen Regenmantels, zwei durchweichte Hosenbeine und zwei Füße, die in höchst ungewöhnlichen schwarzen, grün umrandeten Galoschen steckten.
    »So. Bis auf weiteres ist dieser Schirm wieder ein Schirm«, sagte der Mann, nachdem er den Schaden behoben hatte. Auf Amelies Dankesgestammel antwortete er, bereits im Weitergehen begriffen, aber wieder mit dieser
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