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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben
Autoren: Ian Rankin
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können, in ihrem Haus wohnen zu bleiben, dem Haus, in dem Tracy die Überdosis genommen hatte. Fünfzehn Jahre alt war Ishbel gewesen, als sie den leblosen Körper gefunden hatte. Die Leiche der von ihr abgöttisch geliebten, idealisierten Schwester. Ihres großen Vorbilds.
    »Ich melde mich bei Ihnen«, sagte Siobhan, drehte sich um und verschwand in Richtung Revier.

2
    »Wo waren Sie eigentlich den ganzen Nachmittag?«, fragte Siobhan, als sie das große Glas India Pale Ale vor ihn auf den Tisch stellte. Sie nahm ihm gegenüber Platz, während er Zigarettenrauch zur Decke blies – sein maximales Zugeständnis, wenn er in Begleitung von Nichtrauchern war. Sie befanden sich im Nebenzimmer der Oxford Bar. Alle Tische waren von Büroangestellten besetzt, die einen Tankstopp einlegten, ehe sie nach Hause pilgerten. Siobhan war noch nicht lange zurück im Büro gewesen, als Rebus’ SMS auf dem Display ihres Handys erschien.
    lust auf n glas bin im ox
    Er war inzwischen in der Lage, eine SMS zu schreiben, zu verschicken und eingehende Nachrichten zu lesen, aber er musste noch lernen, wie man Satzzeichen einfügte.
    Und Großbuchstaben.
    »Draußen in Knoxland«, sagte er nun.
    »Es gab dort heute eine Leiche, hat Col mir erzählt.«
    »Gewaltsamer Tod.« Rebus nahm einen Schluck von seinem Bier und schaute missbilligend auf Siobhans schlankes Glas mit der alkoholfreien Mischung aus Soda und Lime Juice.
    »Wie kommt’s, dass Sie da draußen waren?«, fragte sie.
    »Bin angerufen worden. Jemand im Präsidium hat den Leuten von der West-End-Wache den Tipp gegeben, dass es am Gayfield Square überschüssige Ressourcen gibt.«
    Siobhan stellte ihr Glas ab. »Hat man das etwa wörtlich so gesagt?«
    »Es war in diesem Fall wirklich keine Lupe nötig, um zwischen den Zeilen zu lesen, Shiv.«
    Siobhan hatte längst den Versuch aufgegeben, die Leute dazu zu bringen, statt dieser Kurzform ihren richtigen Namen zu benutzen. Zumal es anderen genauso ging: Phyllida Hawes war »Phyl«, Colin Tibbet »Col«. Angeblich wurde Derek Starr manchmal »Deek« genannt, aber in ihrer Anwesenheit war das bisher noch nicht passiert. Sogar DCI James Macrae hatte sie aufgefordert, ihn »Jim« zu nennen, sofern sie nicht in einer offiziellen Besprechung waren. Aber John Rebus… er wurde von allen »John« genannt, niemals Jock oder Johnny. Es schien, als wäre den Leuten auf den ersten Blick klar, dass er nicht der Typ war, der einen Spitznamen duldete. Ein Spitzname ließ einen Menschen netter und zugänglicher wirken. Wenn DCI Macrae beispielsweise sagte: »Haben Sie einen Moment Zeit für mich, Shiv?«, bedeutete es, dass sie ihm einen Gefallen erweisen sollte. Wenn daraus »Siobhan, bitte in mein Büro« wurde, hatte er ein Hühnchen mit ihr zu rupfen.
    »Was denken Sie gerade?«, fragte Rebus jetzt. Er hatte bereits den größten Teil des von ihr gebrachten Biers intus.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nur über das Opfer nachgedacht.«
    »Asiatisches Aussehen oder wie auch immer die politisch korrekte Bezeichnung diese Woche lautet.« Er drückte seine Zigarette aus. »Womöglich Araber oder aus dem östlichen Mittelmeergebiet… ich bin nicht besonders nah herangekommen. War schon wieder eine überschüssige Ressource.« Er schüttelte seine Zigarettenschachtel. Als er feststellte, dass sie leer war, zerknüllte er sie und trank sein Bier aus. »Dasselbe noch mal?«, fragte er und stand auf.
    »Mein Glas ist noch fast voll.«
    »Ich schlage vor, Sie lassen die Finger davon und genehmigen sich was Richtiges. Haben Sie heute Abend noch was vor?«
    »Nein, aber das bedeutet nicht, dass ich Ihnen bei einem Besäufnis Gesellschaft leisten werde.« Er blieb ungerührt stehen und wartete ab. »Na gut, einen Gin Tonic.«
    Das schien Rebus’ Billigung zu finden. Er ging in den Schankraum. Sie hörte, wie er dort von mehreren Leuten begrüßt wurde.
    »Wieso versteckst du dich da drüben?«, fragte einer von ihnen. Sie konnte Rebus’ Antwort nicht verstehen, aber das war auch nicht nötig. Der Schankraum stellte für ihn heimisches Territorium dar, den Ort, an dem er und seine Zechkumpanen – ausnahmslos Männer – sich trafen. Aber dieser Teil seines Lebens musste vom übrigen getrennt sein. Siobhan wusste nicht genau, warum, aber er wollte einfach nur bestimmte Leute dabeihaben. Das Nebenzimmer benutzte er für Verabredungen und »Gäste«. Sie lehnte sich zurück und dachte über die Jardines nach, fragte sich, ob sie wirklich bereit
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