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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben
Autoren: Ian Rankin
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Hoffnung, dass er den Wink verstand und sich mit den Kaffees beeilte. John Jardine hatte den Arm um die Schultern seiner Frau gelegt, und Siobhan fühlte sich drei Jahre zurückversetzt, zu einer fast identischen Szene: ein Reihenhaus in dem Ort Banehall in West Lothian; John Jardine, der seine Frau tröstete, so gut es ging. Das Haus war sauber und aufgeräumt gewesen und in einem Zustand, auf den seine Besitzer, die von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatten, es aus städtischem Besitz zu erwerben, stolz sein konnten. Die Nachbarschaft bestand aus fast identischen Häusern, doch man sah sofort, welche sich in Privatbesitz befanden: neue Türen und Fenster, gepflegte Gärten mit neuem Zaun und schmiedeeiserner Pforte. Einstmals hatte es Banehall dank eines Kohlebergwerks zu einem gewissen Wohlstand gebracht, aber die Zeche war schon vor längerer Zeit geschlossen worden, und die Stadt hatte sich von diesem Schlag nie richtig erholt. Beim ersten Entlangfahren der Main Street waren ihr die zahlreichen leer stehenden Läden und Zu-Verkaufen-Schilder aufgefallen; Menschen bewegten sich unter der Last von Einkaufstüten nur langsam vorwärts; am Kriegerdenkmal lungerten Kinder herum und zielten spielerisch mit Karatetritten aufeinander.
    John Jardine arbeitete als Fahrer; Alice montierte in einer Fabrik am Rand von Livingston Elektrogeräte. Sie bemühten sich, ihren beiden Töchtern und sich selbst ein Leben in bescheidenem Wohlstand zu bieten. Aber eine ihrer Töchter war während eines abendlichen Ausflugs nach Edinburgh Opfer eines Verbrechens geworden. Sie hieß Tracy. Sie hatte mit einer Gruppe Freunden in einem Klub getrunken und getanzt, und später am Abend hatten sie ein Taxi angehalten, um zu einer Party zu fahren. Aber für Tracy war in dem Wagen kein Platz gewesen, und während sie auf ein zweites Taxi wartete, vergaß sie die Adresse, wo die Party stattfand. Da der Akku ihres Handys leer war, ging sie zurück in den Klub und bat einen der Jungen, mit denen sie getanzt hatte, ihr seines zu leihen. Er sagte, die Party sei ganz in der Nähe, und bot an, sie zu begleiten.
    Dann fing er an sie zu küssen; ließ sich auch von ihrem Widerstand nicht davon abbringen; schlug auf sie ein, zerrte sie in eine schmale Nebenstraße und vergewaltigte sie.
    All das wusste Siobhan bereits, als sie in dem Wohnzimmer des Hauses in Banehall saß. Sie war an den Ermittlungen beteiligt gewesen, hatte mit dem Opfer und den Eltern gesprochen. Den Vergewaltiger musste die Polizei nicht lange suchen; er stammte auch aus Banehall, wohnte nur drei oder vier Straßen von den Jardines entfernt, jenseits der Main Street. Tracy kannte ihn aus der Schule. Seine Verteidigungsstrategie war die übliche: zu viel getrunken, Erinnerungslücke… und außerdem war das Mädchen einverstanden gewesen. Die Gerichte taten sich mit Anklagen wegen Vergewaltigung oft schwer, aber zu Siobhans Erleichterung wurde Donald Cruikshank, von seinen Freunden Donny genannt, das Gesicht von tiefen Kratzern der Fingernägel seines Opfers für immer gezeichnet, schuldig gesprochen und zu fünf Jahren verurteilt.
    Damit hätte Siobhans Kontakt zu der Familie enden sollen, aber ein paar Wochen nach dem Prozess erfuhr sie, dass die neunzehnjährige Tracy Selbstmord begangen hatte. Sie hatte zu Hause in ihrem Zimmer mit einer Überdosis Tabletten ihrem Leben ein Ende gemacht und war von ihrer vier Jahre jüngeren Schwester Ishbel gefunden worden.
    Obwohl Siobhan klar war, dass es keine Worte gab, die sie trösten konnten, hatte sie das Bedürfnis, mit den Eltern zu reden. Ihnen war vom Leben übel mitgespielt worden. Eine Sache jedoch hatte Siobhan sich verkniffen, nämlich Cruikshank im Gefängnis zu besuchen. Sie hätte ihn nur zu gern ihren Zorn spüren lassen. Sie erinnerte sich an Tracys Auftritt vor Gericht, an ihre ersterbende Stimme, als sie stammelnd ihre Aussage machte. Sie hatte dabei ins Leere gestarrt; schien sich beinahe für ihre Anwesenheit zu schämen. Hatte sich geweigert, die Plastikbeutel mit den Beweisstücken zu berühren: ihr zerrissenes Kleid, die zerrissene Unterwäsche. Hatte schweigend ihre Tränen weggewischt. Der Richter war mitfühlend gewesen, während der Angeklagte versucht hatte, keinen schuldbewussten Eindruck zu erwecken, sondern die Rolle des eigentlichen Opfers zu spielen: verletzt, die eine Wange mit einem großen Stück Mull bedeckt. Hatte ungläubig den Kopf geschüttelt und die Augen zur Decke gedreht.
    Nachdem die
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