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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben
Autoren: Ian Rankin
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unauffälliger grauer Lieferwagen. Der Fahrer hatte sich bei Rebus beschwert, weil ein paar Halbwüchsige ihm Geld dafür hatten abknöpfen wollen, dass sie auf den Wagen aufpassten.
    »Miese Ratten.«
    In Kürze würde der Fahrer die Leiche zur Obduktion in die Gerichtsmedizin bringen. Aber es war bereits klar, dass es sich um einen gewaltsamen Tod handelte. Etliche Stichwunden, eine davon im Hals. Den Blutspuren nach zu urteilen, war das Opfer drei bis vier Meter vom einen Ende des Verbindungsgangs entfernt angegriffen worden. Wahrscheinlich hatte er zu fliehen versucht, war aber, ehe es ihm gelang, ins Freie zu kommen, von seinem Angreifer endgültig niedergestreckt worden.
    »In den Taschen ist bloß ein bisschen Kleingeld, sonst nichts«, sagte ein anderer Polizist. »Hoffentlich kennt ihn irgendwer…«
    Rebus wusste nicht, wer er war, aber er wusste,
was
er war: nämlich ein Kriminalfall, ein Teil der Verbrechensstatistik. Außerdem war er Nachrichtenmaterial, und die Journalisten hatten garantiert schon Witterung aufgenommen, so wie das Hunderudel bei einer Treibjagd. Knoxland war keine beliebte Wohngegend. Hier zogen nur Leute her, denen nichts anderes übrig blieb. In der Vergangenheit hatten die Behörden die Siedlung benutzt, um Leute abzuschieben, für die sich sonst keine Wohnung fand: Junkies und Geistesgestörte. In letzter Zeit waren vermehrt Einwanderer und Asylbewerber in die besonders verwahrlosten Häuserblocks einquartiert worden. Leute, mit denen niemand zu tun haben, geschweige denn sich ernsthaft befassen wollte. Als Rebus sich umsah, wurde ihm klar, dass sich diese armen Menschen wie Mäuse in einem Labyrinth vorkommen mussten. Nur mit dem Unterschied, dass es in Versuchslabors nur wenige feindlich gesinnte Lebewesen gab, sie hier, im wirklichen Leben, hingegen allgegenwärtig waren.
    Sie waren mit Messern bewaffnet, trieben ungehindert ihr Unwesen, beherrschten die Straßen.
    Und nun hatten sie getötet.
    Ein weiteres Auto hielt am Straßenrand, und ein Mann stieg aus. Rebus kannte ihn: Steve Holly, ein Schreiberling in Diensten eines Glasgower Boulevardblatts. Dick und umtriebig, gegeltes, stachelig vom Kopf abstehenden Haar. Ehe er den Wagen abschloss, griff er nach seinem Notebook und klemmte es sich unter den Arm. Er mochte alles Mögliche sein, dieser Steve Holly, naiv war er nicht. Er nickte Rebus zu.
    »Haben Sie was für mich?«
    Rebus schüttelte den Kopf, woraufhin sich Holly nach einer ergiebigeren Informationsquelle umzusehen begann. »Wie ich höre, hat man euch aus St. Leonard’s rausgeschmissen«, sagte er, so als wollte er Konversation machen, den Blick dabei absichtlich nicht auf Rebus gerichtet. »Hat man Sie etwa hierher strafversetzt?«
    Rebus ließ sich nicht provozieren, dennoch fuhr Holly genüsslich fort: »Hier zu arbeiten, muss eine echte Strafe sein. Verdammt übles Pflaster, was?« Holly zündete sich eine Zigarette an, und Rebus wusste, dass er sich im Geist mit dem Artikel beschäftigte, den er nachher schreiben und für den er sich griffige Formulierungen mit ein paar pseudophilosophischen Einsprengseln ausdenken würde.
    »Ein Asiate, habe ich gehört«, sagte der Reporter schließlich, blies Rauch in die Luft und hielt Rebus die Zigarettenschachtel hin.
    »Das steht noch nicht fest.« Rebus’ Kommentar war die Bezahlung für die Zigarette. Holly gab ihm Feuer. »Olivfarbene Haut… Könnte von überallher stammen.«
    »Nur nicht aus Schottland«, erklärte Holly lächelnd. »Dürfte also ein Verbrechen aus Fremdenhass sein. War ja zu erwarten, dass so etwas irgendwann auch
hier
passieren würde.« Rebus wusste, wieso er das »hier« betont hatte: Er meinte »in Edinburgh«. In Glasgow hatte es schon mindestens einen Mord aus Fremdenhass gegeben, das Opfer war ein Asylbewerber gewesen, der versucht hatte, in einer der menschenfeindlichen Siedlungen jener Stadt sein Leben zu leben. Erstochen, genau wie das hiesige Opfer, das wenige Meter entfernt fotografiert und nach Spuren abgesucht worden war und nun in einen Leichensack gesteckt wurde. Während dies geschah, herrschte Stille: Man erwies dem Toten einen Moment lang die letzte Ehre, ehe man sich wieder der Aufgabe widmete, den Täter zu fassen. Der Sack wurde auf einen Rollwagen gehoben, der dann unter der Absperrung hindurch und an Rebus und Holly vorbeigeschoben wurde.
    »Sind Sie hier der Boss?«, fragte Holly leise. Rebus schüttelte erneut den Kopf und beobachtete, wie die Leiche in dem Lieferwagen
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