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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben
Autoren: Inaqiawa
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sie wieder zurück in die Wirklichkeit. Im ersten Moment hat sie das Gefühl, sie wäre eingeschlafen. Was war das eben? Sie möchte wieder eintauchen, zurück in den Strom, aber der Augenblick ist vorbei. Sie ist zurück in der Realität, und ein Blick auf die Uhr zeigt ihr, daß dieser Moment länger als nur einen Augenblick gedauert hat. Sie ist bereits über eine Stunde unterwegs, sie hat sogar das Essen im Flugzeug verpaßt. Ein Blick auf die heruntergeklappten Tische, auf denen sich die Essensreste der Mitreisenden befinden, läßt sie nichts bereuen.

    Nach ihrer Ankunft in Toulouse versucht sie, sich mit Englisch durchzukämpfen, zumal sie kein Französisch spricht. Kein einfaches Unterfangen, denn die Franzosen geben sich redliche Mühe, Samanthas Vorurteile zu bestätigen. Auf Englisch reagiert überhaupt niemand, und Samantha hat den Eindruck, als wäre das Englische eine Sprache, von der die Franzosen noch nie etwas gehört haben. Also sucht sie den Weg vom Flughafen zum Bahnhof auf eigene Faust. Am Bahnhofsschalter wird ihre Einstellung aufs neue bestätigt. Und da Samantha inzwischen etwas grimmiger geworden ist, fällt auch die Reaktion der Dame an der Information eine Portion heftiger als gewöhnlich aus. Als Samantha sie auf englisch anspricht, übersieht diese Samantha einfach und schickt sich doch tatsächlich an, prompt den nächsten Wartenden in der Schlange zu bedienen. Samantha steht einfach nur da und blickt die Angestellte fassungslos an. Diese zeigt keinerlei Reaktion, und als Samantha den Platz für den Nächsten nicht freizugeben gedenkt, herrscht sie sie auf französisch an und bedeutet ihr, sie solle zur Seite gehen. Samantha kann es kaum glauben, was sich da vor ihren Augen abspielt.

    Endlich sitzt sie im Zug nach Saint Jean Pied de Port. Ihre Stimmung ist sehr ambivalent. Freude will nicht so recht aufkommen, der Ärger über die Sprachschwierigkeiten grummelt in ihr, und eigentlich will sie nur raus aus diesem Land. Auf der anderen Seite verspürt sie eine innere Aufregung und Spannung in sich. Sie ist sich immer noch nicht ganz sicher, ob sie tatsächlich weiß, auf was sie sich da einläßt. Nein, sie ist sich sicher, daß sie es nicht weiß und eigentlich gar keine Ahnung hat, was da auf sie zukommt. Eine verständliche, aber dennoch ungewollte Angst steigt in ihr auf. Ja, sie wollte etwas Ungewöhnliches tun, um ihren Kopf wieder klar zu bekommen und einen Hinweis zu erhalten, was sie mit dem Rest ihres Lebens konkret anfangen will. Und dazu dient ihr dieses Unternehmen.

    Sie will nicht mehr länger über das Für und Wider nachdenken, schließlich sitzt sie bereits im Zug und befindet sich kurz vor ihrem Ausgangspunkt. Dort wird sie dann schon sehen, wie alles weitergeht. Samantha nimmt sich vor, geduldig und gelassen zu sein, was ihr aber nicht so recht gelingen will, weil ihr nun die Gedanken durch den Kopf schwirren, was sie wohl bei ihrer Ankunft erwarten wird.
    Samantha hat außer der Fahrt nach Santiago de Compostela nichts geplant. Noch nicht einmal ein Zimmer hat sie reserviert, ganz gegen ihre übliche Struktur. Sie weiß noch nicht einmal, ob und wo es eine Unterkunft gibt. Sie beabsichtigt, alles, was sich zwischen Saint Jean und Compostela ereignen wird, dem Leben zu überlassen, nicht einzugreifen, damit sie auch wirklich für alle Hinweise des Lebens empfänglich ist. Sie befindet sich auf einer spirituellen Reise, und sie will lernen, den Fügungen zu vertrauen.

    Da sie sich vorgenommen hat, auf die Herbergen dieses Weges zu verzichten und in kleinen Hostals und Pensionen übernachten möchte, hat sie keinen Schlafsack und keine Isomatte mitgenommen. Warum soll sie dieses Gewicht mit sich herumtragen, wenn sie nicht vorhat, es zu benutzen?
    Für viele Pilger stellt gerade das Übernachten in den alten Herbergen des Weges ein wichtiges Moment dar. Samantha kann sich nicht vorstellen, mit mehreren in einem Raum zu schlafen. Und sie kann sich auch nicht vorstellen, daß andere unbedingt mit ihr in einem Raum schlafen wollen.
    In diese Gedanken versunken, fliegt die Landschaft an ihr vorüber, ohne daß Samantha sie wahrnimmt. Erst als sie ankommt, merkt sie, daß die Dämmerung inzwischen zur Dunkelheit gewechselt hat. Es ist kurz vor zehn, als sie aus dem Zug steigt. Sie hat keine Ahnung, wohin sie eigentlich gehen muß. Sie erblickt zwei junge Leute mit Rucksäcken und geht ihnen einfach hinterher. Zwischendurch sieht sie immer mal wieder ein Schild mit dem
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