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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben
Autoren: Inaqiawa
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zu erinnern, vor welchem Einlaß sie sich beim ersten Mal angestellt hat. Ganz links, kommt ihr in den Sinn. Dann also ganz links. Wenn die Dralle Samantha wiedererkennen würde, würde vielleicht alles unkomplizierter vonstatten gehen. Aber sie ist nirgends zu sehen. Das Team von der Sicherheit scheint inzwischen gewechselt zu haben.

    Samantha richtet ihren Blick innerlich gen Himmel und fleht noch einmal zu den guten Geistern. „Danke, daß ihr mir ein erstes Mal geholfen habt, so helft mir doch bitte auch noch ein zweites Mal. Ich verspreche, daß, wenn ich erst einmal im Flieger sitze, ich alles etwas überlegter angehen werde. Aber jetzt brauche ich bitte noch einmal eure Hilfe!“

    Dieses Mal steht ein Mann am Kontrolltisch. Alle Taschen wieder leermachen, Schuhe ausziehen, das kennt sie ja bereits, und dann kommt die Arie mit dem Messer. Samantha hat es jetzt so verpackt, daß es sofort griffbereit ist, und präsentiert es nun in dem Bewußtsein, daß ja alles in Ordnung ist.
    Er sieht es an und sagt: „Das können Sie nicht mitnehmen, das muß hier bleiben.“ — „Wie bitte? Ihre Kollegin hat es aber vor einer Viertelstunde genehmigt, ich mußte nur noch mal raus, weil... Sie hat es an einem Bandmaß gemessen, und ich durfte es wieder einstecken! Es ist dasselbe.“
    Der Mann schaut sie fragend und auch ein bißchen genervt an und runzelt die Stirn. Dann nimmt er das gleiche Maßband aus seiner Hosentasche und mißt nach. Samantha spürt, daß er sie für ziemlich blöd hält, und sie kann es ihm noch nicht einmal verdenken! Die Sache mit dem Messer scheint eine Ermessensfrage zu sein. Er blickt Samantha noch einmal an, sieht ihr direkt in die Augen, und sie kann regelrecht beobachten, wie es in seinem Kopf arbeitet. Jetzt ist seine Menschenkenntnis gefragt.
    Samantha empfindet Mitleid mit dem Mann von der Sicherheitskontrolle. Er hat eine verantwortungsvolle Aufgabe, bei der es letztendlich auch um ihre Sicherheit geht. Was wird er nun tun?
    Er schaut ihr ein weiteres Mal in die Augen, und gerade als sie ihm sagen will, daß sie ihn verstehen kann, ist er zu einem Ergebnis gekommen. Sie kann das Messer wieder einstecken.
    Die Sonne scheint direkt durch das kleine Flugzeugfenster und streichelt sanft Samanthas Gesicht. Endlich kommt sie zur Ruhe. Sie schließt die Augen und realisiert allmählich, was nun vor ihr liegt. Ihre Gedanken wandern zurück, und sie führt sich die Entstehungsgeschichte dieser Reise noch einmal vor Augen.

    Ganz genau kann sie nicht mehr sagen, was der eigentliche Auslöser war. Es waren wohl mehrere Dinge, die zusammenkamen. Eine Sendung im Fernsehen, der Buchtip ihrer Freundin und ein Gefühl der Vorsehung. Das hochspirituelle Buch von Paulo Coelho rüttelte sie schließlich wach. Ungefähr in der Mitte des Buches überkam sie der Gedanke: Ich habe keine Lust mehr auf Second-Hand-Erfahrungen. Ich will es jetzt selbst erleben, hautnah!

    Ein Blick in den Rückspiegel der letzten zehn Jahre zeigte, daß es an der Zeit war, mal wieder ein Abenteuer zu starten. Samantha hatte sich zu lange fremdbestimmen lassen. Jetzt würde sie wieder ihren eigenen Rhythmus suchen, finden und leben. Und dafür erscheint ihr der Jakobsweg geeignet. Nein, der Jakobsweg erscheint ihr nicht lediglich dafür geeignet, allein der Jakobsweg kann es sein! Dies wird ihr plötzlich auf eine ganz und gar unerklärliche Art und Weise bewußt.
    Wo nimmt sie nur diese Sicherheit her? Sie hat noch nie zuvor einen Rucksack getragen, noch nie zuvor einen Wanderurlaub ge-- macht. Selbst die unvorstellbare Distanz von achthundert Kilometern schreckt sie nicht ab. Das ist keine Blauäugigkeit, sondern eine innere Gewißheit, daß der Jakobsweg genau das Richtige für sie ist. In ihrem Kopf drehen sich die Worte: ein inneres Wissen... ein inneres Wissen. Sie wiederholen sich so lange, bis Samantha ganz tief in diese Gedanken versunken ist und sich dem Strom ihres Klanges völlig hingibt. „Ein inneres Wissen“, klingt es in ihr nach, und sie rast wie durch Stromschnellen weiter mit dem Gedankenfluß in die Tiefe, bis keine Gedanken mehr da sind und der Strom sich immer weiter in eine Gedankenleere ergießt. Sie kann diesen Strom körperlich fühlen, er hat keinen Anfang und kein Ende, und dennoch zieht er sie mit sich. Und dann sind auch keine Gefühle mehr da, sie fließt einfach nur. Samantha ist hellwach, aber frei von Gedanken und Gefühlen in einem ewigen Strom eingebettet.

    Die Stimme der Stewardeß holt
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