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So nah am Leben

So nah am Leben

Titel: So nah am Leben
Autoren: Inaqiawa
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Kopf vorsichtig einmal nach links und einmal nach rechts. Es sind Ferien, und die Straße ist fast menschenleer. Sie ist froh darüber. Irgendwie wäre es ihr jetzt unangenehm, wenn Bekannte sie in diesem Aufzug sehen würden. Und sie möchte auch nicht darüber reden, weil sich der Gedanke selbst noch so fremd in ihr anfühlt. Er ist wie ein Schatz, der noch nicht angetastet werden darf und der nur ihr gehört.

    Sie sitzt im Zug, und natürlich muß sie den Rucksack wieder abnehmen — wie soll sie sonst mit diesem Giganten auf den Sitz passen? Umsteigen, Rucksack wieder auf, hinsetzen, Rucksack wieder runter. Auf dem Weg zum Shuttlebus des Flughafens Rucksack wieder auf, im Bus wieder runter, beim Aussteigen wieder rauf. Innerhalb der ersten zwei Stunden holt sie die versäumten Übungen nach, und mit einem Mal kommt sie sich vor wie ein Rucksackwanderprofi. Nun gehört der Rucksack zu ihr, ist kein Fremdkörper mehr, sondern ein lebendiger Teil von ihr.

    In der Schlange vor dem Check-in ist sie immer noch unentschlossen. Soll sie den Rucksack aufgeben oder besser nicht? Wenn der in Toulouse nicht ankommen sollte, hätte sie gar nichts mehr und könnte ihre Unternehmung nicht fortsetzen — keine besonders verlockende Vorstellung, also entschließt sie sich, ihn mit an Bord zu nehmen.
    Gute Idee — allerdings nicht im Hinblick auf die Sicherheitskontrolle. Sie hat eine Nagelschere, eine Feile und ein Schweizer Messer dabei, schließlich geht sie für mehr als fünfunddreißig Tage auf eine Rucksacktour. Sie muß die vielen Taschen mit den vielen Reißverschlüssen ihrer grauen Trekkinghose leeren — alles aufs Band. Dann die Schuhe ausziehen und ebenfalls aufs Band. Natürlich zeigt das Gerät ihr Schweizer Messer an. Jetzt heißt es also, den Rucksack aufmachen und kramen, bis sie an das Messer kommt.
    Ihre Augen sind erwartungsvoll auf die junge dralle Dame von der Sicherheitskontrolle gerichtet. Na? Und nun? Irgendwie ist sie auch ein bißchen ärgerlich auf sich selbst. Das hätte sie doch wissen können, sie fliegt doch nicht zum ersten Mal! Darum erscheint es ihr wie eine gerechte Strafe, hier in Socken zu stehen und mit großen Kulleraugen um Gnade zu betteln.
    Wo sind jetzt die guten Geister, die ihr versprochen hatten, sie auf dieser Reise zu beschützen?

    Die dralle Dame zieht ein stabiles Maßband aus ihrer Hosentasche, klickt das Messer auf und mißt die Schneidefläche. Kaum zu glauben, ihr Messer hat eine vertretbare Schneidenlänge! Sie darf es wieder einstecken und mitnehmen. Ja, es ist ein kleines Messer, und Samantha ist unsagbar froh, daß sie es behalten darf, aber verstehen kann sie es nicht wirklich. Das Messer würde allemal ausreichen, um im Flieger damit jeden möglichen Unfug zu machen. Die Dralle nickt ihr zu und bedeutet, daß sie ihre Schuhe jetzt wieder anziehen kann. Alles in bester Ordnung. Wirklich?!

    Samantha beeilt sich zusehends, ihre Habseligkeiten vom Tisch zu nehmen und sie etwas abseits wieder in ihren Rucksack zu verstauen. Die Sicherheitsbeamtin hat die Schere und die Feile nicht bemerkt, und das kann auch ruhig so bleiben. Einpacken, Schuhe zuschnüren, Rucksack auf. Samantha atmet erleichtert auf und greift nach ihrem Lunchpaket, das sie sich zu Hause für den langen Reisetag bereitet hat. Wo ist es geblieben? Oh nein, das darf doch nicht wahr sein! Sie hat es vorhin im Café liegengelassen.

    Samantha ist wohl ein bißchen durcheinander, der Vorfall bei der Sicherheitskontrolle scheint noch nachzuwirken. Sie entschuldigt sich bei der Sicherheitsbeamtin und teilt ihr hastig mit, daß sie etwas liegengelassen habe und noch einmal zurück müsse. Die läßt Samantha daraufhin mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck geigen den Strom wieder hinaus.
    Als Samantha schließlich im Café angelangt ist und ganz glücklich ihr Lunchpaket in Händen hält, wird ihr plötzlich bewußt, daß sie nun die ganze Prozedur an der Sicherheitskontrolle noch einmal durchmachen muß. Sie fühlt sich wie eine Idiotin. Und das alles wegen eines Lunchpäckchens!
    Sie spürt, wie aufgeregt sie ist. Sie befindet sich auf dem Weg in ein Abenteuer, und auch wenn sie sich in den letzten Tagen gelassen gegeben hat, jetzt ist sie äußerst aufgeregt, und ihre Nerven liegen blank.
    Mit ganz langsamen Schritten nähert sie sich der Kontrolle ein weiteres Mal. Ihre Augen suchen nach dem Durchgang mit dem bekannten Gesicht. Wo ist die Dame? Sie kann sie nicht sehen. Sie versucht sich krampfhaft daran
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