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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund
Autoren: Konrad Lorenz
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in diesem Sinne sind
alle
Menschen Kulturwesen – sich nicht mehr blind auf die Eingebungen seiner Instinkte verlassen. Viele von ihnen widersprechen
     so offensichtlich den Forderungen der menschlichen Gesellschaft, daß sie auch für den naivsten Betrachter ohne weiteres als
     kultur- und gesellschaftsfeindlich zu erkennen sind. Die Stimme des Instinktes, der das wilde Tier in seinem natürlichen Lebensraume
     hemmungslos gehorchen darf, rät sie doch immer nur zum Wohle des Individuums und der Art, ist beim Menschen nur zu häufig
     verderbliche |132| Einflüsterung, die um so gefährlicher ist, als sie in derselben Sprache zu uns spricht, in der auch andere Impulse laut werden,
     welchen wir auch heute nicht nur gehorchen dürfen, sondern müssen. Deshalb ist der Mensch gezwungen, mit Hilfe des begrifflichen
     Denkens jede einzelne Triebregung zu prüfen, ob er ihr nachgeben darf, ohne dadurch jene Kulturwerte zu schädigen, die er
     geschaffen hat. Die Früchte vom Baume der Erkenntnis waren es zwar, um derentwillen der Mensch das Paradies einer tierisch-sicheren,
     instinktmäßigen Einpassung in einen bestimmten, engen Lebensraum verlassen mußte. Sie aber sind es auch, die es ihm ermöglichten,
     seinen Lebensraum weltweit auszudehnen und an sich selbst jeweils die Frage zu richten: Darf ich der Neigung, die mich eben
     anwandelt, nachgeben? Gefährde ich dadurch nicht höchste Werte der menschlichen Gesellschaft? Was geschähe, täten alle, wozu
     es gegenwärtig mich drängt? Oder, mit Kant, aber biologisch formuliert: Kann ich die Maxime meines Handelns zum allgemeinen
     Naturgesetz erheben?
    Jede echte Moral, im höchsten, menschlichen Sinne verstanden, setzt geistige Leistungen voraus, zu welchen kein Tier imstande
     ist. Die Verantwortlichkeit jedoch wäre ihrerseits wieder nicht möglich ohne ganz bestimmte
gefühlsmäßige
Grundlagen. Auch beim Menschen hat sie feste Wurzeln in den tiefen instinktmäßigen »Schichten« seines Seelenlebens. Nicht
     alles, was die kühle Vernunft bejaht, darf der Mensch auch tun. Selbst wenn die ethischen Motive der Handlung durchaus untadelig
     sind, kann der Fall eintreten, daß das Gefühl unmißverständlich widerspricht; wehe dem, der dann dem Verstande und nicht dem
     Gefühl gehorcht. Hierzu sei eine kleine Geschichte erzählt.
    Vor vielen Jahren hatte ich im zoologischen Institut junge Riesenschlangen zu pflegen, die gewohnt waren, tote Mäuse und Ratten
     zu fressen. Da nun Ratten leichter zu züchten sind als Mäuse, wäre es vernünftig gewesen, jene zu verfüttern, aber dann hatte
     ich
junge
Ratten totschlagen müssen. Nun haben aber junge Ratten von der Größe einer Hausmaus, mit ihrem dicken Kopf, den großen Augen,
     den kurzen |133| dicken Beinchen und ihren kindlich täppischen Bewegungen, all das an sich, was junge Tiere und kleine Menschenkinder für unser
     Gefühl so ansprechend und rührend macht. Ich wollte also nicht recht an die Ratten heran; erst als der Mäusebestand des Institutes
     erheblich dezimiert war, verhärtete ich mein Herz mit der Frage, ob ich eigentlich ein experimenteller Zoologe oder eine sentimentale
     alte Jungfer sei, schlug sechs Rattenkinder tot und verfütterte sie an meine Pythons. Vom Standpunkt Kantischer Moral war
     diese Tat durchaus zu verantworten. Vernunftmäßig ist es auch nicht verwerflicher, eine junge Ratte zu töten als eine alte
     Maus. Aber daran kehrt sich das Gefühl nicht. Ich mußte es schwer büßen, seiner abratenden Stimme nicht gehorcht zu haben.
     Mindestens eine Woche lang, Nacht für Nacht,
träumte
ich von jenem Geschehen: Die Rattenkinder erschienen, sie waren noch viel herziger als in Wirklichkeit, nahmen deutlich Züge
     menschlicher Kleinkinder an, schrien mit menschlicher Stimme und wollten einfach nicht sterben, sooft ich sie auch auf den
     Boden schleuderte (dies ist eine schnelle und schmerzlose Methode, derartige Kleintiere zu töten). Zweifellos brachte mich
     die Beschädigung, die ich mir durch die Tötung jener süßen jungen Ratten zugefügt hatte, bis hart an die Grenze einer kleinen
     Neurose. Dergestalt belehrt, schämte ich mich nie wieder, sentimental zu sein und gefühlsmäßigen Hemmungen zu gehorchen.
    Diese tief im Emotionalen wurzelnde Form der Reue hat auch Entsprechungen im Seelenleben hochentwickelter sozialer Tiere.
     Zu diesem Schlusse zwingt ein Verhalten, das ich mehrmals an Hunden beobachtet habe.
    Es war für meinen Bully ein harter Schlag, als ich den schon
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