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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund
Autoren: Konrad Lorenz
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hungriger als sonst, da sie bei den Mahlzeiten der Menschen meist leer ausgegangen waren.
    Die Stute, geschwächt von ihrer Trächtigkeit und vom Blutverlust, greift zu einem uralten, ihrer Art angeborenen Mittel: Sie
     legt einen »Widergang« an, das heißt, sie kehrt auf ihrer Spur kilometerweit zurück und wendet sich an einer buschigen Stelle
     scharf rechts von der Fährte ab. Oft schon hat dieser instinktive Kunstgriff ein Tier dem Jäger entzogen. Auch jetzt stehen
     die Jäger ratlos dort, wo im harten Steppenboden die Fährte scheinbar endet.
    Die Schakale ziehen den Menschen nach, in gehörigem Abstand, denn sie wagen sich noch nicht in die Nähe der lärmenden, aufgeregten
     Jäger. Und sie folgen der Spur des Menschen, nicht der des Wildes. Begreiflicherweise hat ja der Schakal kein Interesse, die
     Fährte eines Wildpferdes zu verfolgen, da es ja für ihn nicht als Beute in Frage kommt.
Diese
Schakale aber haben wiederholt Teile großer Jagdtiere vom Menschen zu fressen bekommen, und ihr Geruch hat dadurch eine neue
     Bedeutung für sie erlangt, sie haben auch schon eine feste Gedankenverbindung zwischen einer starken Blutspur und der Aussicht
     auf baldige Beute gebildet.
    |10| Heute sind die Schakale besonders hungrig und erregt, die Blutspur ist frisch, und so ereignet sich etwas Neues für die Beziehung
     zwischen dem Menschen und seinen Trabanten. Die alte, grauschnäuzige Hündin, die geistige Führerin des Rudels, bemerkt, was
     die Menschen übersehen hatten, nämlich das Abzweigen der Blutspur. So biegen die Tiere an jener Stelle ein und folgen selbständig
     der Schweißfährte. Die Menschen haben inzwischen erfaßt, daß das Wild einen Widergang angelegt hat, und sind umgekehrt. An
     der Abzweigung angelangt, hören sie seitwärts die Schakale heulen. So finden sie rasch die Richtung und alsbald auch die Spur,
     die von den vielen Tieren im Steppengras hinterlassen wurde. Und nun ist zum ersten Male die Reihenfolge hergestellt, in der
     Mensch und Hund seit jenem Tage dem Wilde folgen:
erst
der Hund,
dann
der Jäger. Schneller als den Jägern gelingt es den Schakalen, das Wildpferd einzuholen und zu stellen. Wenn Hunde ein größeres
     Wild »stellen«, so spielt offenbar folgender psychologischer Mechanismus eine wesentliche Rolle. Der verfolgte Hirsch, Bär
     oder Eber, der zwar vor dem Menschen flieht, sich dem Hunde allein aber ohne weiteres zum Kampfe stellen würde,
vergißt
offenbar im Zorn über die Annäherung des frechen kleinen Feindes den viel gefährlicheren Verfolger. Das müde Wildpferd, das
     den Goldschakal nur als feigen Kläffer kennt, stellt sich zornig zur Verteidigung und schlägt wild mit dem Vorderhuf nach
     einem, der sich zu weit herangewagt hat. Schwer atmend tritt es im Kreise, nimmt jedoch die Flucht nicht wieder auf. Die Menschen
     nun hören den Lärm der Schakale, sie bemerken, daß er an derselben Stelle bleibt, der Führer gibt das Signal, die Jäger verteilen
     sich lautlos nach allen Seiten und umzingeln die Beute. Im Augenblick scheint es, als wollten die Schakale auseinanderstieben;
     aber sie beruhigen sich wieder, weil niemand sie ansieht. Die kleine Führerin des Rudels hat jede Furcht verloren, wütend
     bellt sie das Wildpferd an, und als dieses schließlich von einem Speer durchbohrt niederbricht, graben sich ihre Zähne gierig
     in die Kehle des Opfers. Erst da der Leiter der Menschenhorde sich zu |11| dem toten Tier niederbeugt, weicht sie einige Schritte zurück. Der Hordenleiter, vielleicht der Urururenkel dessen, der zum
     ersten Male ein Beutestück für die Goldschakale zurückgelassen hat, schlitzt den Bauch der noch zuckenden Beute auf, zerrt
     roh ein Darmstück heraus, schneidet es ab, und ohne den Schakal direkt anzusehen, ein Akt höchsten intuitiven Taktgefühls,
     wirft er das Stück, wiederum taktvoll, nicht unmittelbar nach dem Tiere, sondern seitwärts daneben hin. Die graue Leiterin
     prescht scheu etwas zurück, als aber der Mensch keine Drohgebärde macht, sondern einen freundlichen Ton hören läßt, den die
     Schakale schon oft am Rande des Lagerfeuers gehört haben, stürzt sie heftig auf das Darmstück zu. Und als sie eilig, schon
     kauend, mit der Beute im Fang sich zurückziehen will und nochmals ängstlich nach dem Menschen schielt, bewegt sich ihr Schwanz
     in kleinen raschen Schlägen von rechts nach links. Zum ersten Male hat ein Schakal den Menschen angewedelt; damit war ein
     weiterer Schritt zum Haushund hin
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