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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund
Autoren: Konrad Lorenz
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Gefolgschaft des erwachsenen Hundes ist selbst dann |20| markant, wenn der Hund in der menschlichen Familie isoliert von seinesgleichen aufwächst und »Elterntier« und »Leitwolf« von
     demselben Menschen repräsentiert werden. Der Vorgang ähnelt stark demjenigen, durch den ein junger Mensch zur Zeit der Pubertät
     sich aus dem Familienverbande löst und auf eigenen Wegen eigenen Idealen zustrebt. Auch beim Menschen ist die Bindung an diese
     neuen Ideale ein
einmaliges
Phänomen: Wehe dem Jugendlichen, der in dieser prägsamen Periode sein Herz an falsche Götter hängt!
    Bei Lupushunden liegt die Zeit, in welcher sich der Hund für immer einem bestimmten Herrn verbindet, etwa im fünften Monat.
     Daß ich das nicht wußte, hat mich einst schweres Lehrgeld gekostet. Unsere erste Chowhündin war meiner Frau als Geburtstagsgeschenk
     zugedacht. Um die Überraschung nicht vorwegzunehmen, gab ich die Hündin bis zu jenem Tage einer Verwandten in Pflege. Unerwarteterweise
     genügte eine Woche Aufenthalt, um die Herrentreue des kaum ein halbes Jahr alten Tieres an meine Cousine zu fixieren, wodurch
     das Geburtstagsgeschenk erheblich an Wert einbüßte. Obwohl jene Dame unser Haus nur selten besuchte, betrachtete die temperamentvolle
     kleine Hündin eindeutig sie und nicht meine Frau als ihre eigentliche Herrin. Noch nach Jahren wäre sie bereit gewesen, uns
     freiwillig zu verlassen und meiner Cousine zu folgen.
    Meine Hündin Stasi, eine meiner Chow-Schäferhund-Mischlinge, vereinigte in ihrem Verhalten zum Herrn auf glückliche Weise
     die starke Jugendanhänglichkeit des Aureuserbes und die exklusive Gefolgschaftstreue ihrer lupusblütigen Ahnen.
    Im Vorfrühling 1940 geboren, war Stasi sieben Monate alt, als ich sie zu meinem Hund erkor und in Dressur nahm. In Aussehen
     und Charakter mischten sich die Züge des deutschen Schäferhundes und die des Chows: Mit ihrer scharfen Wolfsschnauze, den
     breiten Jochbögen, den schräg stehenden Augen, den kurzen, dickpelzigen Ohren, der kurzen, kerzengeraden und prachtvoll buschigen
     Rute, vor allem aber in ihren elastischen Bewegungen glich sie einer kleinen Wölfin, |21| im flammenden Goldrot ihres Pelzes aber trat das Aureuserbe in Erscheinung. Das wahre Gold jedoch lag in ihrem Charakter.
     Die Grundlagen der Hundeerziehung, nämlich Leinenführung, bei Fuß gehen und das Abliegen begriff sie in erstaunlich kurzer
     Zeit; zimmerrein und geflügelfromm war sie gewissermaßen von selbst, man brauchte sie das gar nicht erst zu lehren.
    Mein Bund mit Stasi wurde knapp zwei Monate später dadurch getrennt, daß ich eine Berufung an die Universität Königsberg als
     Ordinarius für Psychologie annahm. Als ich zu Weihnachten für einen kurzen Urlaub nach Hause kam, empfing mich Stasi mit einem
     Freudenrausch und zeigte sich in ihrer großen Liebe zu mir völlig unverändert. Sie konnte alles, was ich sie gelehrt hatte,
     kurz, sie war derselbe brave Hund, den ich vor drei Monaten verlassen hatte.
    Geradezu tragische Szenen aber spielten sich ab, als ich mich wieder zur Abreise anschickte. Noch ehe das Packen begann, war
     Stasi auffallend gedrückt und wich nicht einen Augenblick von meiner Seite. Sobald ich aus dem Zimmer ging, sprang sie nervös
     auf und wollte mich sogar auf das gewisse Örtchen begleiten. Als die Koffer gepackt waren, steigerte sich Stasis Kummer bis
     zur Neurose: Sie fraß nicht mehr, ihre Atmung war flach und gestört und von tiefen Seufzern unterbrochen. Am Tage der Abreise
     wollten wir sie einsperren, um zu verhindern, daß sie gewaltsam versuche, mich zu begleiten. Aber Stasi hatte sich in den
     Garten zurückgezogen, der gehorsamste aller Hunde verweigerte den Gehorsam, als ich ihn rief. Alle Versuche, des Tieres habhaft
     zu werden, scheiterten.
    Als sich schließlich die übliche Karawane mit Kindern, Handwagen und Koffern in Bewegung setzte, folgte ihr, etwa zwanzig
     Meter entfernt, ein sonderbar aussehender Hund mit gesenkter Rute, gesträubtem Nackenfell und irren Augen. Auf dem Bahnhof
     versuchte ich ein letztes Mal, ihn zu fangen – vergebens. Noch als ich den Zug bestieg, stand Stasi in der bedrohlichen Haltung
     des revoltierenden Hundes in sicherer Entfernung und sah mich unverwandt an. Der Zug |22| fuhr an, Stasi stand immer noch unbeweglich an der nämlichen Stelle, erst als er sein Tempo bereits erheblich beschleunigt
     hatte, preschte sie blitzschnell vor, den Zug entlang, und sprang dann drei Wagen vor demjenigen auf, auf
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