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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund
Autoren: Konrad Lorenz
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sie zu einem eigenartigen Verfahren bestimmt.
    Als mein alter Bully eines Tages vom Schlag getroffen tot auf seinem »Bellwege« lag, da bedauerte ich es plötzlich zutiefst,
     daß ich von ihm keinen Nachkommen hatte, der seine Stelle hätte ausfüllen können. Ich war damals siebzehn Jahre alt, Bullys
     Tod war der erste Hundeverlust, der mich betroffen hat. Es fehlt mir die Ausdrucksmöglichkeit, um zu beschreiben, wie sehr
     mir dieser Hund abging. Er war mein unzertrennlicher Begleiter gewesen, und der hinkende Rhythmus seines Trabes   – Bully hinkte von einem schlecht verheilten Oberarmbruch – war mir so sehr zum Geräusch
meiner
Schritte geworden, daß ich dieses ziemlich geräuschvolle Trappen und das begleitende Schnaufen nicht mehr hörte. Allein es
     fiel mir sofort auf, wenn es fehlte. In der ersten Zeit nach Bullys Tode wurde mir klar, durch welchen psychologischen Mechanismus
     bei naiven Menschen der Glaube an die Geister der Verstorbenen zustande kommen konnte, ja, zustande kommen mußte. Das jahrelange
     Hören des mir auf den Fersen folgenden Hundes hatte einen so nachhaltigen Eindruck in meinem Gehirn hinterlassen – die Psychologie
     nennt dieses Phänomen ein eidetisches Nachbild   –, daß ich |143| den Hund mit wahrhaft sinnlicher Deutlichkeit noch wochenlang nach seinem Tode auf meiner Spur traben hörte. Hörte ich bewußt
     hin, war das Trappen und Schnaufen schlagartig verstummt, aber sowie ich an etwas anderes dachte, glaubte ich es wieder zu
     vernehmen. Erst als Tito, damals noch ein tolpatschiges halberwachsenes Mädchen, hinter mir herlief, war der Geist des alten
     Bully, des hinkenden Gespensterhundes, endgültig gebannt.
    Auch Tito ist lange tot – wie lange schon! Aber
ihr
Geist trabt und schnüffelt noch immer auf meinen Spuren, ich habe dafür gesorgt, daß er es tue! Und dies ist das Verfahren,
     von dem ich oben gesprochen habe: Als nämlich Tito tot vor mir lag, wurde mir bewußt, daß auch sie ein anderer Hund ersetzen
     würde, wie sie Bully ersetzt hatte. Ich schämte mich meiner Treulosigkeit und schwor Tito einen merkwürdigen Eid: Nur Nachkommen
     Titos sollten hinfort mich begleiten!
    Dem einzelnen Hund kann der Mensch aus naturgegebenen Gründen die Treue nicht halten, wohl aber seinem Stamme. Es liegt eben
     im Wesen der Natur, daß ihr dieser mehr gilt als das Individuum. Wenn meine kleine Susi, deren Vorfahren ich bis ins achte
     Glied kenne, weil in unserer Zucht erlaubterweise erhebliche Inzucht getrieben wurde, einen störenden Besucher, den ich gleisnerisch
     willkommen heiße, anknurrt und anbellt (später wird sie ihn gewiß auch gemäßigt beißen), da sie sich von meinen Worten nicht
     täuschen läßt – dann ist dieses Erraten meiner tatsächlichen Seelenstimmung nicht nur ein Wesenszug Titos, den die Kleine
     ererbt hat, nein, dann
ist
sie Tito! Wenn Susi auf einer trockenen Wiese nach Mäusen jagt, mit den hohen Bogensprüngen, wie sie viele mäusejagende Raubtiere
     haben, und mit der übertriebenen Leidenschaft für diese Tätigkeit, die ihre Chow-Ahnfrau Pygi I. auszeichnete, dann
ist
sie Pygi. Und wenn sie beim Dressieren auf Ablegen, das wir seit einiger Zeit betreiben, genau die gleichen Mätzchen und faulen
     Ausreden erfindet, um aufstehen zu dürfen, die ihre Urgroßmutter Stasi vor elf Jahren erfand, wenn sie, wie diese, leidenschaftlich
     gern in jeder Lacke badet und dann mit den |144| Zeichen naiver Unschuld und naß ins Haus kommt, dann
ist
sie Stasi. Und wenn sie auf stillen Auwegen, staubigen Landstraßen oder in der Großstadt in meiner Spur läuft, mit allen Sinnen
     darauf bedacht, mich nicht zu verlieren, dann ist sie
alle
Hunde, die je auf der Fährte ihres Herrn trabten, seit der erste Goldschakal damit begann – eine unermeßliche Summe von Liebe
     und Treue!

Nachbemerkung des Autors
    Durch neue Forschungen, insbesondere die sehr genauen Untersuchungen von Alfred Seitz, wird die Annahme unwahrscheinlich,
     daß der Haushund im wesentlichen von dem Goldschakal abstammt. Eine mögliche Ausnahme bildet nach Seitz der afrikanische Bassenji,
     der in der Heulstrophe Anklänge an den Goldschakal zeigt. Der Vorfahre des Haushundes ist offenbar in einem anderen, dem Wolfe
     näherstehenden asiatischen Windhund zu suchen. Es kommen vor allem der indische Wolf Canis lupus pallipes und der Canis lupaster
     in Frage.

Informationen zum Buch
    Auf sehr verschiedene Weise kann der Mensch auf den Hund kommen; zum Beispiel durch das
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